Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
Nachfolger gemacht haben.
Sethan lässt sich nicht beirren. »Wie viele Tore waren eingezeichnet?«
»Keins«, lüge ich. Es waren einunddreißig, über ein Dutzend mehr, als auf den öffentlichen Karten des Reiches markiert sind.
»Warum hat man dir dann die Karten gezeigt?«
»Aus demselben Grund, aus dem er«, ich deute auf Aren, »seinen Schattenlesern Karten zeigt: um die Geografie zu lernen.« Ich musste mir die Provinzen und Regionen des Reiches merken. Ohne den Namen eines Ortes zu kennen, wären meine Karten nur willkürliche Skizzen ohne Aussagekraft. Ich muss den Namen der Region laut aussprechen, damit ihn die Magie erfassen kann und damit die Fae in meiner Begleitung einen Riss zu dem von mir benannten Ort öffnen können. Das ist das winzige bisschen Magie, das Schattenleser wie ich beherrschen.
Lena drückt sich von der Wand ab. »Sie lügt. Sie weiß, wo sich die Verschwundenen Tore befinden. Sie hat sie benutzt.«
»Ich habe die Provinz tore benutzt«, sage ich zu Sethan. Ich bin mir nicht sicher, warum ich das Gefühl habe, diesem Fae das erklären zu müssen. Er ist wichtig, dessen bin ich mir sicher, aber warum habe ich seinen Namen nie zuvor gehört?
»Wir überwachen die Provinztore«, entgegnet Lena. »Wir hätten dich schon vor langer Zeit entführt, wenn du nur diese Tore benutzt hättest.«
Ich behalte einen neutralen Gesichtsausdruck bei und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, dass sie recht hat. Einst bestand das Reich aus Hunderten kleiner Königreiche, die alle über ein eigenes Tor verfügten, aber vor dreitausend Jahren verschwanden die meisten dieser Tore im Duin Bregga , einem grausamen Krieg, der in unserer Sprache »Die Auflösung« heißen würde. Kyols Worten zufolge wurden die Verschwundenen Tore angeblich zerstört, aber es hat immer wieder Gerüchte gegeben, dass einige von ihnen noch erhalten geblieben sind und dass die Erinnerung an ihren Standort mithilfe einer Magie, die heute ausgestorben ist, aus den Köpfen der Fae gelöscht wurde. Als einer von König Atroths persönlichen Beratern mit der Hilfe eines Kimki, der sich silbrig färbte , auf ein Tor stieß, das in keine Karte eingezeichnet war, wurden diese Gerüchte bestätigt. Seitdem sucht Atroth nach den Verschwundenen Toren, und er hat auch schon einige gefunden.
»Wenn du dein Leben verlängern willst«, droht mir Lena und macht einen Schritt auf mich zu, »dann verrätst du uns, wo sich diese Tore befinden.«
»Lena«, schaltet sich Aren ein. Dann sagt er etwas in ihrer Sprache, auf das sie eine wütende Antwort gibt. Er redet ruhig weiter. Was immer er sagt, macht sie ganz offensichtlich nicht glücklich. Sethan hat kaum noch Zeit, aus dem Weg zu gehen, als sie die Eingangstür aufreißt und ins Haus stürmt, wobei sie leise vor sich hin schimpft, vermutlich eine Litanei von Fae-Flüchen loslässt. Vermutlich alle gegen mich ausgestoßen.
Ist mir egal. Ich bin froh, dass sie weg ist.
Sethan sieht mich erneut an. »Es tut mir wirklich sehr leid, dass du in diesen Krieg mit reingezogen worden bist. Wir wollten die Menschen nie darin verwickeln, aber Atroth hat dafür gesorgt, dass es notwendig wurde, als er damit begann, deine Art gegen uns einzusetzen. Seine Schattenleser, und ganz besonders du, haben uns beinahe vernichtet. Wir hatten keine andere Wahl, als dich ihm wegzunehmen.« Er macht eine Pause, und seine silbernen Augen bohren sich in mich, als ob er meine Gedanken lesen kann. Doch das kann er nicht. Die Telepathie gehört nicht zu den gefährdeten Gaben, sie ist vielmehr eine der längst ausgestorbenen und verloren gegangenen Fähigkeiten. »Wir möchten, dass du uns hilfst, McKenzie. Und wir würden dir gern helfen.«
»Mir helfen?«, schnaube ich. »Das Einzige, was ich von euch will, ist die Erlaubnis zu gehen.«
»Damit Atroth dich weiterhin gegen uns einsetzen kann?« Er schüttelt den Kopf. »Das ist keine Option.«
»Was ist, wenn ich mich bereit erkläre, nie wieder für den Hof zu arbeiten?«
Sethan runzelt die Stirn, als könne er meine Frage nicht verstehen. Er kneift die Augen zusammen und studiert mich. Ich hoffe nur, dass er meinen Gesichtsausdruck nicht deuten kann. Hoffentlich sieht er mein Angebot als das größte Zugeständnis an, das ich ihm machen kann, und nicht als etwas, was ich bereits seit einigen Wochen vorhabe. Am nächsten Samstag, dem Tag, an dem ich meinen Collegeabschluss gemacht hätte, wenn ich nicht durch die Abschlussprüfung geflogen wäre – und ich
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