Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
alleine.
Vorsichtig drücke ich mich hoch, ohne mit meinen blasenübersäten Händen das Gras zu berühren, und stehe auf. Dann verharre ich einige Sekunden, bis der Schwindelanfall wieder vorbei ist. Ich muss dringend mal wieder schlafen! Leise entferne ich mich vom Gasthaus.
Bums!
Ich bleibe stehen und werfe einen Blick über die Schulter.
Aren. Scheiße. Er muss doch gehört haben, wie ich das Fenster geöffnet habe, und ist mir gefolgt. Er starrt mein einfaches Seil an, zieht einmal daran und richtet den Blick seiner silbernen Augen dann auf mich.
»Du bist wirklich erfinderisch«, sagt er. »Das muss man dir lassen.«
Meine Hände brennen. Ich versuche, sie zu verstecken und unbesorgt zu wirken, obwohl er meinen Fluchtversuch vereitelt hat, aber als er näher kommt, verspanne ich mich. Was ist, wenn er seine Meinung geändert hat? Was ist, wenn er es jetzt für zu riskant hält, mich am Leben zu lassen?
Er schlägt mich nicht und schimpft mich auch nicht aus. Stattdessen nimmt er eine meiner Hände zwischen seine und wirkt seine Magie. Blaue Blitze zucken über seine Arme, und seine Handflächen sind auf einmal eine warme Kompresse auf meiner Haut. Nach einigen Sekunden verändert sich die schmerzhafte Wärme. Jetzt fühlt sie sich gut an. Ebenso wie das Prickeln, das durch meinen Unterarm pulsiert. Ich erlaube Aren, mich länger zu berühren, als ich eigentlich will, lange genug, damit einige der blauen Zickzacklinien ihren Weg von seiner Haut auf meine finden können. Sie leuchten hell im Mondlicht. Ich beobachte, wie sie sich um meinen Unterarm drehen, und bin mir sehr wohl bewusst, dass Aren sie ebenfalls sieht.
»Edarratae« , sagt er. »Chaosschimmer.«
»Ich weiß, was das ist«, entgegne ich und versuche, die Empfindungen zu ignorieren, die die Blitze, die Edarratae , in mir auslösen.
»Du kannst jetzt loslassen.« Ich versuche, ihm meine Hand zu entziehen.
»Du hättest dir dabei den Hals brechen können.« Er lässt meine rechte Hand los, um die linke zu nehmen, wobei er darauf achtet, meine Armbanduhr nicht zu berühren. Diese Handfläche ist nicht so schlimm verletzt wie die andere, aber er heilt die Wunden dennoch mit seiner warmen Berührung.
»Das hätte Lena bestimmt gefreut.«
Er sieht mir in die Augen. »Ja. Ja, das stimmt.«
Es gefällt mir nicht, wie er mir weiter in die Augen starrt. Das erinnert mich an Kyol, der sie auch immer derart faszinierend findet. Für mich sind sie absolut nichts Außergewöhnliches, einfach nur braune Augen, einige Nuancen dunkler als meine Haare. Auch meine Gesichtszüge unterscheiden sich ein wenig von denen der Fae: Meine Wangenknochen sind nicht so hoch, meine Nase ist nicht so spitz … aber Aren mustert mein restliches Gesicht in diesem Moment nicht. Ich wünschte, er würde es tun, denn diese Intensität, gepaart mit seinen Chaosschimmern, produziert in meinem Bauch ein warmes, angenehmes Gefühl. Es ist nicht richtig, dass ich mich so fühle, insbesondere nicht bei Aren, Sohn des Jorreb.
Ich unterbreche den Blickkontakt, damit mein Körper sich abkühlen kann, und schelte mich, weil ich so auf diese sanften, silbernen Augen reagiere. Außerdem versuche ich erneut, ihm meine Hand zu entziehen. Diese Edarratae müssen verschwinden, damit ich wieder klar denken kann.
Nach einem Augenblick lässt er mich los. Ich verschränke meine Arme vor dem Bauch, ohne mir meine geheilten Handflächen anzusehen. Das Heilen ist eine so gut wie ausgestorbene Magie, und es kommt mir irgendwie falsch vor, dass ein Killer diese Gabe besitzt.
Aren deutet auf die Eingangstür des Gasthauses. »Komm, Nalkin-Shom . Wir müssen uns unterhalten.«
Ich bleibe an Ort und Stelle stehen. »Ich habe einen Namen. Du musst mich nicht beleidigen.«
»Dich beleidigen?« Er legt den Kopf zur Seite. » Nalkin-Shom ist eine der harmlosesten Bezeichnungen, die es für dich gibt.«
Ich runzle die Stirn. »Bezeichnungen?«
»Ja, Bezeichnungen. Nalkin-Shom bedeutet Schattenhexe. Lena nennt dich Treap-Shom , Schattenhure. Einige der anderen Namen klingen übersetzt nicht mehr so gemein, aber da wären dann noch Schattenabschaum, Kartendirne, Faemörderin.« Er macht eine Pause. Seine Mundwinkel ziehen sich leicht nach oben, und ich könnte schwören, dass das Mondlicht in seinen Augen funkelt. »Was ist? Wusstest du nicht, dass du den Ruf einer Mörderin hast?«
»Der Hof nimmt die meisten der Fae, die ich aufspüre, gefangen«, entgegne ich und versuche, sein Grinsen zu
Weitere Kostenlose Bücher