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Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)

Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)

Titel: Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandy Williams
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durch die Baumwipfel und sprenkelt die Platte des Picknicktisches. Ich kann niemanden sehen und frage mich, ob ich einfach Glück habe oder ob die Rebellen sorglos geworden sind, aber ich habe vor, die Situation auszunutzen. Das Problem ist nur, dass ich mich im zweiten Stock, drei Geschosse über dem Erdboden, befinde und nicht weiß, ob die zwei Laken ein ausreichend langes Seil ergeben.
    Erneut versuche ich, die Baumwolle zu zerreißen. Es gelingt mir nicht mal ansatzweise. Wenigstens ist das Material robuster, als es aussieht, aber ich brauche etwas Scharfes, um das Laken der Länge nach zu halbieren.
    Das Bett ist das einzige Möbelstück im Zimmer. Ich knie mich daneben und sehe darunter auf der Suche nach irgendetwas, das den Stoff durchtrennen kann. Die Matratze liegt auf einem Metallfederrost auf. Es ist zu dunkel, um viel erkennen zu können, und ich taste mit den Händen herum, bis ich eine lockere Sprungfeder finde, an der ich so lange herumzerre, bis ich sie herausgerissen habe. Sobald das geschafft ist, bohre ich das Metall in das Laken, stemme meine Füße gegen das Bett, lehne mich nach hinten und ziehe.
    »Ha!« Ich strahle das leere Zimmer an, während das Laken genau in der Mitte zerreißt. Das zweite Laken halbiere ich auf dieselbe Weise. Dann binde ich die vier Hälften zusammen, bringe mein behelfsmäßiges Seil zum Fenster und sehe hinaus. Noch immer keine Patrouille.
    Ich überprüfe jeden Knoten. Als sie alle halten, muss ich erst einmal die in mir aufsteigende Nervosität bekämpfen. Ich muss das tun. Ich werde nicht auf Kyol warten, dass er mich rettet.
    Kyol ist am Leben .
    Ich schließe die Augen und spreche leise ein Dankgebet. Unsere Beziehung – wenn man es denn so nennen kann – war in den letzten Monaten sehr merkwürdig, und das ist meine Schuld. Ich habe versucht, ein normaler Mensch zu sein. Ich habe mich auf mein Studium konzentriert, ich habe mir einen richtigen Job gesucht, ich habe mir sogar von Paige ein paar Blind Dates vereinbaren lassen. Die Typen waren alle nett, und ich habe versucht, sie zu mögen – wirklich! –, aber bisher konnte ich mich noch zu keiner zweiten Verabredung aufraffen.
    Frustriert schiebe ich den Fensterflügel hoch. Himmel, ist das laut. Der Rahmen knarrt, als ob das Fenster seit Jahrzehnten nicht mehr geöffnet worden ist. Ich halte den Atem an und lausche. Im Flur sind keine Schritte zu hören, auch draußen bleibt alles still. Ich hole tief Luft und zähle vorsichtshalber bis hundert. Nach einem letzten gründlichen Blick in den Garten des Gasthauses knote ich ein Ende des Seils an die Heizung unter dem Fenster und werfe das andere nach draußen. Trotz der Knoten reicht es fast bis auf den Boden.
    Das Rausklettern ist schwerer, als ich es mir vorgestellt habe, und mir ist nicht ganz klar, wie ich das schaffen soll, ohne mich dabei umzubringen. Schließlich sitze ich rittlings auf dem Fensterbrett, was bei der recht kleinen Öffnung gar nicht so einfach ist. Langsam und vorsichtig lasse ich mich herunter, bis mein linkes Bein, das noch im Zimmer hängt, über das Fensterbrett gleitet und an der Außenmauer entlangschabt. Ich habe keine Ahnung, wie viel Lärm ich dabei mache, aber ich kann es jetzt auch nicht ändern.
    Ich packe das Seil mit der rechten Hand und lasse mit der linken die Fensterbank los. Sobald ich das tue, falle ich. Obwohl ich meine Hände fester um den Stoff lege, rutsche ich viel zu schnell. Meine Handflächen brennen, bis ich den ersten dicken Knoten erreiche und aufheule, aber leise, um ja keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich werfe einen Blick nach oben zum Fenster und überlege, ob ich nicht doch lieber wieder reinklettern soll. Aber ich schüttle den Kopf, entscheide mich dagegen, beiße die Zähne zusammen und rutsche weiter nach unten. Ich komme zum nächsten Knoten. Dann zum nächsten.
    Inzwischen ist die weiße Baumwolle blutverschmiert. Ich hänge noch ein halbes Stockwerk über dem Boden, als es viel zu wehtut, sich noch länger festzuhalten. Es gelingt mir, auf den Füßen zu landen, doch dann spüre ich einen stechenden Schmerz in den Beinen und lande auf allen vieren. Während ich auf der Nase liege und die kalte Luft in meine Lungen hineinziehe, sage ich mir, dass ich eine Riesenidiotin bin, dass ich so etwas versuche, was ich vorher nur im Fernsehen gesehen habe. Ich hätte mir dabei den Hals brechen können.
    Aber das habe ich nicht , rufe ich mir ins Gedächtnis. Ich bin am Leben. Ich bin im Freien. Ich bin

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