Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
hat, und ziehe danach meine Stiefel an, ohne mir Zeit für die Socken zu nehmen. Ich renne zur Tür. Es dauert vier ungelenke, halbherzige Tritte, bis ich den Türgriff abgebrochen habe, aber die verdammte Tür geht dennoch nicht auf.
Ich will gerade erneut gegen die Tür schlagen, als sie aufgerissen wird. Ein Fae mit einem Dolch in der Hand rennt ins Zimmer und an mir vorbei, um mit seiner Klinge die Bretter vor dem Fenster zu entfernen. Während er die Latten herausbricht, kommen zwei weitere Fae mit Armbrüsten und Köchern voller Pfeilen herein.
Armbrüste und Pfeile gegen Schusswaffen? Ich warte nicht, um zu sehen, wie effektiv sie sind. Ich flüchte auf den Flur und renne zur Treppe. Erst als ich auf dem Treppenabsatz im ersten Stock ankomme, überlege ich, wo ich eigentlich hinwill. Vielleicht wäre es sicherer, wenn ich mich verstecke und warte, bis mich die Menschen finden? Sie schießen jetzt ohne Unterlass, fast so, als wollten sie das Gasthaus mit ihren Kugeln niedermähen. Das leise Boink der Armbrüste der Fae klingt dagegen viel disziplinierter. Wenn das Gasthaus nicht zusammenbricht, könnte den Menschen die Munition ausgehen, bevor sie alle Rebellen getötet haben, und … Ist das Rauch?
Ich sehe über das Geländer nach unten. Eine graue Wolke schwebt in der Luft. Es riecht nicht so, als würde irgendetwas brennen, sondern eher … metallisch? Ich glaube nicht, dass es giftig ist, aber ich weiß beim besten Willen nicht, was ich jetzt machen soll. Hier oben verstecken oder nach unten gehen? Ich versuche, mir vorzustellen, wie ich irgendwo in einer dunklen Ecke hocke, und mir wird klar, dass ich durchdrehe, wenn ich nicht weiß, was hier passiert. Ich werde nach unten gehen. Notfalls kann ich ja wieder nach oben laufen.
Schnell renne ich die Treppe hinunter und bin schon fast im Parterre, als jemand etwas ruft. Ich sehe zwei Menschen im Tarnanzug an der Tür des Gasthauses stehen, sehe, wie sie ihre Waffen abfeuern und Kugeln in einer geraden Linie in den Empfang schießen, und diese Linie bewegt sich langsam auf mich zu. Instinktiv bedecke ich den Kopf mit den Armen und ducke mich. Aber ich stehe auf der Treppe, hier gibt es keine Deckung. Ich stolpere. Blumentapetenfetzen wirbeln herum, und dann pralle ich gegen das L-förmige Geländer am Fuß der Treppe.
Als ich wieder klar sehen kann, erfassen meine Augen einen von einem Geschoss durchbohrten Kopf auf der anderen Seite des Geländers. Der Pfeil ist direkt durch den mit Blut gefüllten Mund des Menschen gegangen und hat ihn an die Wand hinter ihm genagelt. Das Bild des abgetrennten Kopfes kommt mir wieder in den Sinn. Ich schließe die Augen und versuche, beide Bilder auszublenden.
Jemand zieht mich auf die Beine. Ich hätte beinahe protestierend aufgeschrien, wenn mir der stechende Schmerz im Rücken nicht die Luft aus den Lungen gepresst hätte. Ich habe schwarze Flecken vor den Augen, als ich von der Eingangstür des Gasthauses weggeschleift werde. Man wirft mich auf den Boden, bevor ich auch nur nach Luft geschnappt habe.
Verdammt noch mal, das tut weh! Der Schmerz fährt mir das Rückgrat hinauf und in den Nacken. Mir wird übel, ich zwinge mich auf alle viere, während ich darauf warte, dass sich mein Magen entleert. Ich würge einige Male, doch es kommt nichts, und nach einer Minute lässt der Schmerz nach, wird erträglicher. Ich setze mich hin und sehe mich um.
Ich sitze auf dem Küchenboden. Naito und Kelia hocken ebenfalls neben den Schränken. Sie sind beide voller Ruß, der auch in der Luft hängt. Sie trägt ein sehr dünnes hellblaues Nachthemd, und Naito hat nichts außer einer Jeans an. Lange, rote Kratzer ziehen sich über seine Schultern und die Brust hinunter. Sie stammen offensichtlich nicht von diesem Angriff. Kelia ist ganz rot, und die Edarratae , die über ihre Haut zucken, beben vor aufgestauter Energie.
»Wer ist da draußen?«, frage ich sie, und mein Blick geht zum Fenster der Frühstücksecke, wo Lena und ein weiterer Fae hocken mit schussbereiten Armbrüsten. Einige Schachteln, ein paar Schwerter und eine weitere Armbrust stehen neben ihnen an der Wand. Mein Rucksack und einige weitere Taschen sind ebenfalls dort aufgetürmt.
»Mein Vater«, antwortet Naito. Seine Stimme klingt so ätzend, dass man damit Eisen auflösen könnte.
»Vigilanten«, erklärt Kelia. »Menschen, die Fae töten.«
Als ich die Stirn runzle, melden sich die Kopfschmerzen hinter meinen Augen. Menschen, die Fae töten?
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