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Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)

Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)

Titel: Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandy Williams
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indem sie ganze Stücke vom Jaedrik -Baum abziehen. Sobald die papierdünnen, superleichten Streifen auf dem Lederpanzer getrocknet sind, können sie Pfeile ebenso effektiv abwehren wie Polizei-Westen Patronen.
    Ja, es ist schon recht seltsam, dass ich Rüstungen für die Feinde des Hofs fertige, aber so habe ich wenigstens etwas zu tun. Außerdem nehme ich häufig nur vier Streifen Borke zum Verstärken des Leders und keine fünf, wie es mir Kelia aufgetragen hat. Obwohl sie meine Arbeit hin und wieder überprüft, hat sie mich noch nicht dabei erwischt.
    »Kein Problem«, sage ich und hole noch einen Streifen Jaedrik -Borke von dem kleiner werdenden Stapel zu meinen Füßen hoch.
    »Der Hof hat dich gut behandelt, was?«
    Ich breite die Borke über den Brustharnisch, halte sie mit dem Knie fest, damit sie nicht verrutscht. Ohne aufzusehen, antworte ich knapp: »Ja.«
    »Der König sorgt für dich.«
    »Ja«, antworte ich erneut. Das Schattenlesen ist mein Job. Der König gibt mir genug Bargeld, damit ich jeden Monat meine Ausbildung und meine Rechnungen bezahlen und mir Lebensmittel kaufen kann. Ich könnte vermutlich in einem Tausend-Quadratmeter-Haus wohnen, wenn ich wollte – Atroth würde mir mehr bezahlen, wenn ich es verlangte –, aber ich lebe bescheiden, damit mich niemand fragt, woher ich das Geld habe.
    »Wir könnten auch für dich sorgen«, meint Sethan.
    Dieses Mal sehe ich auf. »Versuchst du gerade, mich zu kaufen? «
    »Das ist besser als einige andere Überzeugungsmethoden, findest du nicht?«
    Ich setze eine ausdruckslose Miene auf. »Meine Loyalität kann man nicht kaufen.«
    Sethan presst die Lippen zusammen. Ich bezweifle, dass er mich mehr mag als Lena. Es überrascht mich, dass er mehr auf Aren hört als auf seine Schwester, die mich noch immer tot sehen will. Aber nach allem, was mir Kelia erzählt hat, sind Sethan und Aren praktisch Brüder.
    Wo wir gerade bei Sethans Familie sind, hallt auch schon Lenas Stimme über die Lichtung. Ich bekomme nicht mit, was sie sagt, aber sie kommt mit einem Stoffsack in der Hand auf uns zu. Ein unbekannter Fae mit einem müden, zerklüfteten Gesicht geht hinter ihr her.
    Sethan steht auf, aber ich behalte meine Stellung bei, bis Lena den Sack auskippt und ein abgetrennter Kopf auf den Tisch rollt.
    Ich springe zur Seite. Meine hohen Absätze lassen mich auf den Steinen taumeln, und ich lande unsanft auf dem Hintern. Eine Sekunde später hat mich auch der Gestank erreicht. Mir wird übel, aber ich kann meinen Blick nicht von den Augen abwenden. Der Kopf liegt auf dem linken Ohr. Das rechte Auge ist offen, aber über der silbernen Iris und der grauen Pupille liegt ein weißer Schleier. In der Iris und der Pupille des linken Auges steckt ein langer Nagel. Ein Teil meines Gehirns registriert, dass an dem Metallstift auch noch eine blutbefleckte Nachricht hängt. Der andere Teil meines Gehirns hat die Arbeit inzwischen komplett eingestellt.
    Aren zieht mich auf die Beine. Ich weiß nicht, wo er auf einmal herkommt. Ich höre seine Stimme, aber ich verstehe die Worte nicht. Doch er spricht ohnehin nicht mit mir. Er spricht Fae mit Lena und dem Mann, der ihr gefolgt ist.
    Ich zwinge mich dazu, mich zu konzentrieren, und zwar auf Aren, und hoffe, dass sein Gesicht das Bild des Dings auf dem Tisch irgendwie ausblenden kann.
    Er sieht mich an. »Ist der Hof doch nicht so gütig, wie du gedacht hast?«
    Mir zieht sich der Magen zusammen. Ich habe davon gehört, dass die Rebellen Köpfe mit Botschaften schicken, aber ich habe noch nie zuvor einen solchen Kopf gesehen. Wenn Fae sterben, verschwinden sie in einem Lichtstrahl, und ihre Seelenschatten – weiße Nebel, die nur Menschen mit der Gabe des Sehens schauen können – lösen sich in Luft auf. Kyol nennt das »in den Äther gehen«, was vermutlich ihr Äquivalent zu unserem Himmel ist. Doch wenn man einem oder einer Fae den Kopf abtrennt, wird das verhindert, und diese Tat gilt als besonders heimtückisch.
    »Ihr macht das doch auch«, sage ich leise.
    Lena schnaubt. »Dann ist es natürlich in Ordnung, wenn sie es tun.«
    Nein, es ist nicht in Ordnung. Leichte Zweifel beschleichen mich. Was ist, wenn ich mich in Bezug auf den Hof irre? Was ist, wenn ich zehn Jahre lang Schatten für die falschen Leute gelesen habe?
    Lena reißt die Nachricht vom Nagel und hält sie mir vors Gesicht. »Das ist eine Drohung. Der Hof will dich zurückhaben. Wenn wir dich nicht ausliefern, wird es so lange unangekündigte Razzien

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