Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
»Warum?«
»Weil sie sie hassen«, schnaubt Naito.
»Haben sie die Gabe des Sehens?«, will ich wissen. Kelia nickt. »Sind einige davon Schattenleser?«
»Das ist unwichtig«, erwidert Naito. »Sie können den Fae nicht allein ins Reich folgen, sie brauchen Fae, die sie durchs Tor bringen.«
Kelia legt eine Hand auf seine Schulter. »Die Vigilanten werden uns nichts tun.«
Irgendwas in ihrer Stimme sagt mir, dass dieses »uns« eigentlich ein »mir« ist. Die Vigilanten werden ihr nichts tun, zumindest will sie Naito das weismachen. Das klingt ja nach einer interessanten Geschichte, und ich habe da so eine Ahnung.
Ich wende mich wieder Naito zu. »Du warst früher einer von ihnen.«
Sein angespanntes Gesicht sagt mir, dass ich recht habe. Ich schniefe. Wie bei Romeo und Julia.
Dann sehe ich in die Richtung der Eingangstür. Die Menschen scheinen das Feuer auf die oberen Geschosse zu konzentrieren. Ob das daran liegt, dass die Fae von oben das Feuer auf sich ziehen, oder weil nur wenige Menschen ins Erdgeschoss eingedrungen sind, ich weiß es nicht, aber das ist es nicht, was mir Sorgen macht. Die Menschen gehen jetzt langsamer vor. Es gibt Pausen zwischen den Schüssen. Sie nehmen sich die Zeit zum Zielen. Was ist, wenn ihnen tatsächlich die Munition ausgeht? Wenn sie sich zurückziehen müssen, werden sie dann wiederkommen? Ich möchte mir diese Möglichkeit zur Flucht nicht entgehen lassen, aber wenn ich Hals über Kopf hinausrenne, werden die Fae im Haus dann auf mich schießen?
»Denk nicht mal daran«, unterbricht Naito meine Gedanken, als hätte er sie gelesen. »Die Vigilanten werden dich schon töten, weil du hier bist.«
Ich werfe ihm einen schnellen Blick zu. »Ich gehöre nicht zu euch.«
»Das ist ihnen egal. Du arbeitest für den Hof. Für sie sind alle Fae gleich.«
»Dann werde ich meinen Job nicht verraten«, fauche ich. Es ist eine Woche her, dass Aren meinen Arm geheilt hat, und das ist meine erste und vielleicht auch letzte Gelegenheit zu fliehen.
»Hör auf ihn, McKenzie«, sagt Kelia. »Diese Leute sind der Abschaum der Menschheit. Sie werden dich töten, sobald sie dich sehen.«
Ich unterdrücke meine Erwiderung, als ein Blitz meine Aufmerksamkeit auf Lena lenkt. Dem Fae neben ihr sind die Pfeile ausgegangen, und er hat seine Armbrust zur Seite gelegt. Nun kniet er und hält Flammen in einer Hand.
»Kein Feuer« , sagt Lena in ihrer Sprache. Nach kurzem Zögern ballt der Fae die Faust und löscht das kleine Feuer. So gut wie alle Fae vermögen, Feuer zu erschaffen und zu manipulieren, aber das Talent und die Kraft zu haben, es zu werfen, was dieser Fae meiner Meinung nach vorhatte, ist äußerst beeindruckend. Ich wünschte mir jedoch, dass Lena ihn nicht gestoppt hätte. Ein Waldbrand hätte zweifellos mehr Menschen hierhergebracht. Normale Menschen. Ich würde es nicht offen zugeben, aber Naitos und Kelias Behauptungen über die Vigilanten haben mich nervös gemacht.
Aber ich kann nicht hierbleiben.
Ich gehe in die Hocke und mache mich bereit, um zur Eingangstür zu sprinten, als mich ein weiterer Gedanke zögern lässt. Hier stimmt was nicht. Ich weiß nicht, was es ist, doch dann sehe ich zu Lena hinüber, die mich mit angespanntem Gesicht anstarrt.
»Nur zu, lauf los«, sagt sie. »Du wirst sie ablenken.«
Sie sind Fae. Sie sollten keine Ablenkung brauchen .
»Warum öffnet ihr keinen Riss?«, frage ich.
»Wir können es nicht«, sagt sie, als ob ich völlig verblödet wäre.
»Ihr könnt nicht …« Ich sehe mich in der Küche um, betrachte die Arbeitsflächen und den Fußboden, dann meine Jeans und meine Hände. Das ist kein Ruß, der in der Luft schwebt, es ist Silberstaub. Alles ist damit bedeckt.
Scheiße. Die Rebellen sitzen in der Falle. Diese Menschen sind brillant. Sie verhindern nicht nur, dass die Fae durch Risse verschwinden, sie schränken ihre Fähigkeit zu kämpfen auch gewaltig ein. Die Fae verlassen sich normalerweise auf die Risse, um Angriffen auszuweichen oder sie einzuleiten. Ohne diesen Einsatz der Magie sind sie aktionsunfähig.
Das ist ihr Problem, nicht meins. Ich verschwinde von hier.
Da ich keinen Pfeil in den Rücken kriegen will, warte ich, bis Lena aus dem Fenster sieht und zielt, bevor ich zur Küchentür renne. Ich komme nicht weit. Eine Masse aus ineinander verschlungenen Armen und Beinen versperrt mir den Weg. Ich wirbele herum, als Aren und ein Mensch gegen die Küchentheke prallen. Sie rangeln miteinander und fluchen, aber Aren
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