Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
in Städten und Lagern geben, bis sie dich gefunden haben. Sie werden jeden töten oder gefangen nehmen, der Widerstand leistet, selbst wenn er in keiner Verbindung zu uns steht.« Sie knallt das blutige Stück Papier auf den Picknicktisch. »Wir sollten ihnen deine Leiche zurückschicken. Der König würde so etwas tun.«
Sie dreht sich um und geht, bevor ich überhaupt einen Ton sagen kann. Nicht dass ich wüsste, was ich sagen soll. Ich kann das nicht rechtfertigen. Es macht mich krank, aber es passt nicht zu dem, was ich über den Hof weiß. Kyol gibt sich stets die größte Mühe, die Rebellen gefangen zu nehmen, selbst wenn es einfacher wäre, sie zu töten. Die Schwertkämpfer, die er ausbildet, machen es genauso. Ich habe nie gesehen, dass sie etwas Grausames oder Unbarmherziges getan hätten.
Aber ich habe sie auch nicht ständig im Auge. Unsicherheit macht sich in meiner Magengrube breit.
»Du bist blass«, meint Aren, der neben mir steht. Seine Stimme ist sanft, vielleicht sogar besorgt.
»Ich bin nur … Ich bin nur müde.«
Ich hasse die Art, wie er nickt, als hätte er meinen Zustand untersucht und herausgefunden, dass Schlaf genau das ist, was ich brauche, um wieder klar denken zu können.
Bevor ich ins Gasthaus gehe, zwinge ich mich dazu, die Nachricht noch einmal anzusehen. Ich kann die Worte nicht lesen, aber ich bin mir sicher, dass es nicht Kyols Schrift ist.
Der nächste Atemzug fällt mir schon etwas leichter. Das ist nur ein Beispiel für die Grausamkeit, die von einem der Gefolgsleute des Königs ausgeht. Wenn Kyol davon erfährt, wird er den verantwortlichen Fae bestrafen.
Im Vorbeigehen werfe ich Aren einen Blick zu. Im nächsten Augenblick sehe ich auch schon zu Boden. Ich glaube, in seinen Augen eine gewisse Zufriedenheit entdeckt zu haben. Sie leuchtete nur ganz kurz auf, dass sie mir beinahe entgangen wäre, aber ich bin mir sicher, dass da irgendetwas gewesen ist.
Erneut werde ich unsicher.
Er hat doch nicht etwa …? Nein. Sicher würde nicht einmal Aren so etwas einem seiner eigenen Fae antun. Er würde so ein Verbrechen nicht begehen, nur damit mir erste Zweifel kommen.
Andererseits habe ich aber auch keine Ahnung, wie es im Kopf eines Rebellen wirklich aussieht …
8
S chüsse lassen mich aus dem Bett hochfahren. Ich blinzle mir den Schlaf aus den Augen.
Moment mal. Schüsse? Die Fae benutzen keine Schusswaffen.
Ein einzelnes Einweckglas auf dem Boden spendet ein wenig Licht. Ich muss geträumt haben. Einige Sekunden lang höre ich nichts außer einem fernen Donnern.
Peng. Peng. Peng.
Was zum Teufel ist das? Das sind definitiv Schüsse.
Ich werfe meine dünne Decke auf die Seite und springe aus dem Bett. Auch im Gasthaus wird geschossen. Im Flur knarrt und knackt das Holz, als die Fae an meiner Tür vorbeilaufen. Es ist zu laut, als dass ich die Worte der Rebellen verstehen könnte, aber das ist auch nicht notwendig. Die Schützen müssen Menschen sein.
Kugeln schlagen in die Außenwand ein – irgendwo weiter unten, glaube ich –, und ich könnte schwören, dass das Gasthaus zittert, als ob es Schmerzen hätte. Ich renne zu meinem vernagelten Fenster und hämmere gegen die Bretter.
»Hilfe! Hier drin ist ein Mensch!«, schreie ich. In einer normalen Situation wären das lächerliche Worte, aber die Leute da draußen müssen die Fae sehen können, wenn sie auf sie schießen. Sie werden es verstehen. Sie werden mir helfen. »Hallo!«
Ein weiterer Kugelhagel lässt meine Bitte verstummen, und das Gasthaus bebt erneut. Ich sehe zur Decke hinauf und bin mir ziemlich sicher, dass sie einstürzen wird, wenn die Menschen so weitermachen. Obwohl ich noch nie zuvor unter Klaustrophobie gelitten habe, kommt mir die Luft in meinem Zimmer auf einmal abgestanden vor, und die Wände scheinen immer näher zu kommen.
Ich verlasse das Fenster und hämmere mit der Faust an die Tür. »Lasst mich hier raus!«
Niemand antwortet.
Mein Herz klopft so schnell, wie die Schüsse abgefeuert werden. Ich bin hier oben völlig blind. Ich habe keine Ahnung, was draußen vor sich geht, wie viele Menschen es sind oder was sie hier wollen. Ich würde mir gern einreden, dass sie hergekommen sind, um mich zu retten, aber sie spicken dieses Haus mit so vielen Kugeln, dass sie wohl kaum vorhaben, mich hier lebendig rauszuholen. Sie wissen nicht mal, dass ich hier bin.
Verdammt. Ich will so nicht sterben.
Ich schnappe mir meine Jeans, ziehe sie über das Satinnachthemd, das mir Kelia gegeben
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