Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
öffnen oder mich auf andere Weise aufhalten. Er ist ein Heiler, was aber noch lange nicht heißt, dass er keine anderen Gaben besitzt.
Ach, wem mache ich was vor? Das alles hat mich zuvor auch nicht aufgehalten. Ich lege mir nur Ausreden zurecht, damit ich bei ihm bleiben kann. Schwache Ausreden. Der einzige Grund, warum ich noch hier bin, ist, dass er nicht sterben soll. Wenn ich ihn im Stich lasse, wäre das so, als würde ich ihm ein Schwert in die Brust stoßen, und ich könnte nie jemanden exekutieren, der verletzt ist und meine Hilfe braucht.
»Zieh den anderen Stiefel aus.«
Ich schlucke meine Frustration hinunter und füge mich. Mist, der Fuß sieht ja noch schlimmer aus als der andere.
Aren schüttelt den Kopf und wirkt seine Magie. Ich beiße mir auf die Lippe, um nicht wieder zu kichern. Zum Glück ist er schnell fertig. Wenn ich lache, fühle ich mich viel zu verletzlich.
Ich entziehe ihm meinen Fuß und tauche beide blasenlosen Füße in den Fluss. Das kalte Wasser ist belebend.
Neben mir neigt sich Aren langsam nach hinten, bis er auf dem Rücken liegt. Er schließt die Augen. Ich sehe mit an, wie sich seine Brust hebt und senkt. Die Falten in seinen Augenwinkeln verraten mir, dass seine Schulter sehr schmerzt. Ich mache mir deswegen Sorgen. Die Wunde blutet nicht mehr, aber vielleicht hätten wir sie nicht zunähen sollen. Möglicherweise sollte sie austrocknen, Luft bekommen oder etwas in der Art.
»Rede mit mir«, sagt er. »Das lenkt mich von meiner Schulter ab.«
Das bezweifle ich, erkundige mich aber trotzdem: »Worüber möchtest du denn reden?«
Ein Chaosschimmer schießt über seinen Bauch. Ist er schwächer als sonst? Es fällt mir schwer, das unter dem ganzen Schmutz und Schweiß zu bestimmen.
»Wie lange arbeitest du schon für den Hof?«
»Zehn Jahre.« Ich mache eine Pause und überlege, wie viel ich ihm verraten soll. Als einer seiner Atemzüge abgehackt klingt, füge ich hinzu: »Ich hatte vor, damit aufzuhören.«
Das Silber lugt unter seinen Augenlidern hervor. »Ach wirklich?«
Ich nicke. »Ich soll eigentlich eine Woche, nachdem du mich entführt hast, meinen Collegeabschluss machen. Ich wollte als normaler Mensch leben, die Fae ignorieren und nie wieder einen Fuß ins Reich setzen.«
Er grinst. »Du könntest nie ein normaler Mensch sein.«
Ich starre ihn an, aber er hat die Augen wieder geschlossen.
»Zehn Jahre?«, meint er nach einigen Sekunden. »Du warst ganz schön jung, was?«
»Nicht so jung.«
»Hast du noch bei deinen Eltern gewohnt?«
Ich will auf keinen Fall, dass die Unterhaltung in diese Richtung geht. Ich ziehe meine Füße aus dem Wasser und lasse sie an der Luft trocknen.
Er dreht den Kopf und sieht mich an. »Werden sie nach dir suchen?«
»Nein«, antworte ich auf eine Weise, die diese Unterhaltung beenden sollte.
»Wird irgendein Mensch nach dir suchen?«
»Ja.« Das ist nicht gelogen. Wenn ich noch ein paar Wochen nicht auftauche, werden sich die unbezahlten Rechnungen häufen und man wird versuchen, mich zu kontaktieren. Und es ist gut möglich, dass mich auch Paige vermisst. Ihre Schwester heiratet diesen Monat, und ich habe versprochen …
Ach Scheiße.
»Was ist?«, will Aren wissen.
»Ich habe den Junggesellinnenabschied verpasst.«
»Den was?«
»Eine Party«, erkläre ich. »Die Schwester einer Freundin heiratet am Samstag.« Paige kommt nicht gut mit Amy klar, aber sie ist ihre Trauzeugin. Sie muss bis zur Hochzeit nett zu ihr sein, und ich habe ihr versprochen, dass ich ihr bei beiden Feiern zur Seite stehe, damit sie nicht durchdreht.
Das ist der Grund dafür, dass ich kaum menschliche Freunde habe. Immer ist irgendwas mit den Fae, und es endet damit, dass ich meine Versprechen breche.
Aren starrt zu dem von den Baumwipfeln verdeckten Himmel hinauf. »Erzähl mir, warum du angefangen hast, für den Hof zu arbeiten.«
Ich hebe einen Stein vom Boden auf und seufze laut. Aren will noch immer abgelenkt werden? In Ordnung. »Welches Menschenmädchen würde sich die Gelegenheit, Teil eines Märchens zu werden, entgehen lassen? Ich war sechzehn. Mir stand der Sinn nach Aufregung und Abenteuer.« Und nach Liebe, aber das werde ich ihm bestimmt nicht verraten. »Der Hof hat mir all das geboten. Sie haben gesagt, ich wäre etwas Besonderes, dass ich ihnen helfen könnte und dass sie mich beschützen würden.«
»Beschützen? Wovor?«
Ich beobachte Sosch, der gerade in einen flachen, steinigen Teil des Flusses springt. »Vor den
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