Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
auf einmal. Ich halte den Atem an, während er, wie ich vermute, den Weg eines Chaosschimmers über mein Gesicht verfolgt. Ein weiterer schießt über meine Hand.
Aren macht einen Schritt auf mich zu. Sein Blick wird nicht weicher, aber seine Lippen öffnen sich, als ob er etwas sagen will. Er steht nur noch eine Armlänge von mir entfernt, und ich kann seine Körperwärme spüren und den Duft von Zedern und Zimt riechen.
Er zieht mir die Kapuze über den Kopf. »Bedecke immer deine Haut.«
Aren ist so ernst, dass ich Angst bekomme. Ich zwinge mich weiterzuatmen und versuche, meinen Herzschlag in den Griff zu bekommen. »Wo genau sind wir?«
Er greift nach meinem Arm, der unter dem Umhang verborgen ist. »Wir sind in Lyechaban.«
»Lyechaban!« So viel zu meinen Versuchen, mich zu beruhigen. Jetzt schlägt mein Herz noch schneller als vorher. »Bist du verrückt?«
Er grunzt. »Sieht ganz danach aus.«
»Diese Leute werden mich umbringen, Aren.«
»Ich würde dir daher raten, keinen Fluchtversuch zu unternehmen.« Er zieht mir die Kapuze tiefer ins Gesicht, legt mir einen Arm um die Schultern und schiebt mich dann aus der Tür.
Ich würde nur Aufmerksamkeit erregen, wenn ich mich wehre, daher bleibe ich dicht an seiner Seite. Leider lassen sich meine Edarratae nicht hinter einer Illusion verbergen, da diese Magie bei Menschen nicht funktioniert, und als ein heftiger Wind unter meinen Umhang fährt und mir die Kapuze vom Kopf zu wehen droht, halte ich das wolleartige Material gut fest, damit es an Ort und Stelle bleibt. Dabei achte ich darauf, dass meine Hände nicht zu sehen sind, und gehe sehr vorsichtig, um so auszusehen, als würde ich in das Reich und diese Stadt gehören, was ganz und gar nicht der Fall ist. Es gibt bestimmte Orte in dieser Welt, an denen Menschen nicht willkommen sind, und dazu gehört eindeutig Lyechaban.
Ich versuche zu verhindern, dass die Erinnerungen an die Oberfläche kommen. Stattdessen konzentriere ich mich auf die Hütten, die die Straße säumen, auf Kelia und Naito, die uns nach Osten führen, aus dem der salzige Geruch des Meeres kommt. Wir befinden uns in einem der ärmeren Stadtviertel. Das kann man immer an der Silbermenge an den Gebäuden erkennen. Die Gebäude hier sind aus Holz und sprödem Stein, und kein einziges hat einen silbernen Anstrich.
Ein Fae kreuzt meinen Weg. Ich kann wegen meiner tief ins Gesicht gezogenen Kapuze gerade mal seine Stiefel sehen. Daraufhin rücke ich noch näher an Aren heran. Ich habe diese Stadt erst ein einziges Mal aufgesucht, und da hatte ich eine Eskorte aus einer ganzen Garde von Kyols Schwertkämpfern an meiner Seite. Lyechaban ist die Hauptstadt von Derrdyn, einer der Provinzen, die nicht für König Atroths Thronbesteigung gestimmt haben. Sie war schon immer … kein gesetzloser Ort, aber einer mit eigenen Gesetzen. Nachdem mich Kyol aus Thrains Gewalt befreit hatte, erfuhr Lord General Radath, dass der Richter und der Stadtrat von Lyechaban dem Falschblut Unterschlupf gewährt hatten. Da ich jung und noch unerfahren im Schattenlesen war, war ich nicht der erste Schattenleser, den sie hierher schickten. Vor mir waren schon zwei andere hier, die …
Nein, ich werde jetzt nicht daran denken.
Aren verstärkt den Druck seines Arms um meine Schultern, als er mich um eine Straßenecke führt. Unter meiner Kapuze sehe ich so gut wie nichts von der Stadt. Aber ich kann sie spüren. Es dauert immer einige Zeit, bis ich mich daran gewöhnt habe, im Reich zu sein. Hier in Lyechaban dauert es noch länger. Bei jeder Bewegung fühle ich mich so menschlich und fehl am Platze. Es fällt mir schwer, mir einzureden, dass ich mit diesem Kapuzenumhang nicht auffalle, aber ich laufe ja auch keine Straße in meiner eigenen Welt entlang. Umhänge und Kapuzenmäntel sind hier üblich, insbesondere, wenn ein derart kalter Wind weht. Ich falle nicht auf. Hoffentlich.
Wir biegen erneut rechts ab. Aren schirmt mich gegen die Häuser an der Straße ab. Ich bemühe mich, ruhiger zu werden, und zwinge mich, mit Aren Schritt zu halten. Das Tempo ist für Fae ungewöhnlich langsam, aber ich kann nicht schneller gehen, insbesondere wenn ich darauf achten muss, wo ich hintrete. Die Straßen von Lyechaban sind voller Löcher und Risse.
Zum Glück ist diese Straße in einem besseren Zustand als die letzte. Außerdem haben hier die Türen einiger Häuser und Geschäfte silberfarbene Anstriche.
Ich kann es eher hören als sehen – die Straße vor uns wird
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