Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
mir an diesem Gebäude nichts Besonderes auf. Es ist unscheinbar, und die glatte Fassade harmonisiert mit den Fassaden der Häuser daneben. Der einzige Unterschied ist ein glänzender silberner Anstrich.
Lena stößt an der Tür zu uns. Niemand sagt ein Wort, als sie vortritt und mit den Fingerspitzen an die Holztür klopft. Der magische Schutz fällt mir erst auf, als sein leises Summen bei ihrer Berührung verschwindet und denjenigen, der sich im Haus aufhält, auf einen Besucher hinweist. Ich schwanke hin und her, ob ich mich in meinem Kapuzenumhang klaustrophobisch oder überaus auffällig fühlen soll. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis jemand an die Tür kommt. Als sie endlich aufgeht, richtet derjenige eine Armbrust auf Aren und macht ein so finsteres Gesicht, dass ich unwillkürlich einen Schritt nach hinten mache. Aren hält meinen Arm fest und verhindert so, dass ich noch weiter zurücktreten kann. Zumindest schubst er mich nicht gleich nach vorn. Andererseits kommt mir der Tod durch die Armbrust angenehmer vor als durch die Hände der Bürger von Lyechaban.
»Wir sind hier, um mit Lorn zu sprechen« , sagt Lena.
»Er weiß, dass ich hier bin, Versh« , fügt Kelia hinzu.
Die silbernen Augen des Fae wirken leicht amüsiert. »Kelia« , knurrt er. »Du warst ja seit Monaten nicht mehr hier. Schön, dich zu sehen.«
»Lass uns rein.«
Nun lächelt er. Er deutete auf Naito und mich. »Ich will zuerst ihre Gesichter sehen.«
»Du kennst Naito« , erwidert Kelia. »Und McKenzie kannst du auch drinnen unter die Lupe nehmen.«
Versh zieht merklich die Augenbrauen hoch, und mir wird noch unwohler zumute.
»Augenblick« , meint er und schließt die Tür.
Aren drückt meinen rechten Arm noch fester. »Er kennt McKenzies Namen. Das ist seltsam.«
Kelia sagt etwas über Lorn. Ich verstehe nicht alle Worte, aber ich glaube, sie sagt, dass er Freunde und Quellen im ganzen Reich hat. Arens Miene macht deutlich, dass er diese Erklärung nicht akzeptiert. Offenbar haben die Rebellen ziemlich lange graben müssen, bis sie meinen Namen in Erfahrung gebracht hatten. Abgesehen von Atroth, Radath, Kyol und einigen wenigen vertrauenswürdigen Mitgliedern des Inneren Zirkels des Königs weiß niemand, wer ich bin. Zumindest sollte es niemand wissen.
Nach einigen Minuten kehrt Versh zurück. Er öffnet die Tür weit genug, sodass wir eintreten können. Als wir hineingehen, sagt er: »Kelia und der Sohn des Jorreb müssen ihre Waffen ablegen.«
Wenn die Fae den Mumm hätten, eine so veraltete Technik wie einen Plattenspieler zu benutzen, wäre dieser gerade mit lautem Kreischen stehengeblieben, und das nicht nur, weil Versh Englisch gesprochen hatte, er hatte überdies jeden von uns außer Aren und Kelia absichtlich beleidigt. Einen Gast nicht zu bitten, seine Waffen beim Betreten des Hauses abzulegen, ist in etwa so, als würde man ihm den Stinkefinger zeigen. Man deutet damit an, dass man derart ungeübt im Umgang mit Waffen ist, dass man ohnehin keine Gefahr darstellt. Da ich ein Mensch bin und beim besten Willen nicht kämpfen kann, stört mich diese Beleidigung nicht weiter. Aber Lena ist entrüstet, und wenn ich mir Naitos Haltung so ansehe, geht es ihm genauso.
»Nom Sidhe« , flucht Kelia und stürzt, ohne ihre Waffen abzulegen, an Versh vorbei. »Lorn! Lorn!«
Versh lässt sie ziehen und wartet, bis Aren seinen Schwertriemen losgeschnallt und an etwas gehängt hat, was wie ein extravaganter Kleiderständer aussieht. Er stellt neben einer Couch mit kaputter Lehne das einzige Möbelstück in dem großen Zimmer rechts der Eingangstür dar. Die Couch steht an einer Wand, die mit … Graffiti, würde ich sagen, bedeckt ist. Symbole der Fae, geschmiert von der Fußleiste fast bis zur …
Ich ziehe den Kopf ein. Auf der Galerie stehen zwei Fae mit Armbrüsten und starren zu uns herab. Selbst wenn sie keine Lyechabaner sind, sollen sie meine Edarratae nicht zu Gesicht bekommen.
»Hier entlang«, sagt Versh. Er führt uns in den Flur, durch den auch Kelia verschwunden ist. Wir gehen nach rechts und eine schmale Treppe hinunter. Ich kann in dem schwachen Licht kaum etwas erkennen und gehe einfach auf die blau-weiße Kugel zu, die vor uns hängt. Vier bewaffnete Fae sitzen in dem Raum am Fuß der Treppe. Sie sagen kein Wort, als wir Versh durch eine weitere Tür folgen, aber ich spüre ihre Blicke an uns kleben. Sie beobachten mich.
Ich höre Kelia, bevor ich sie sehe. Sie beschimpft einen Fae, der lässig auf
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