Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
der Kante eines Schreibtischs aus rotem Holz sitzt. Ihre Schimpftirade scheint ihn nicht weiter zu belasten. Auch die beiden Wachen in den hinteren Ecken des Raumes bleiben locker, und ihre Armbrüste sind gesenkt.
Im Gegensatz zu den beschmierten Wänden und der Schäbigkeit im vorderen Teil des Gebäudes haben die Wände im Untergeschoss einen burgunderroten Anstrich, und auf dem Boden liegt ein weißer Plüschteppich. Gemälde in Silberrahmen hängen an den Wänden. Auf einem erkenne ich den Sidhe Cabred , auf einem anderen den Skulpturengarten des Silberpalastes.
Naito nimmt seine Kapuze ab und stellt sich an Kelias Seite. Der Fae am Schreibtisch, bei dem ich davon ausgehe, dass er Lorn ist, legt die Fingerspitzen aneinander.
»Naito.« Er begrüßt den Menschen mit einem unaufrichtigen Lächeln, bevor er sich Aren zuwendet. »Ich bin überrascht, dass du ihm erlaubt hast, herzukommen. Nach allem, was ich gehört habe, hast du nicht genug Schattenleser, um es riskieren zu können, einen davon zu verlieren.« Er wirft mir einen Blick zu. »Oder zwei.«
»Du weißt, warum Naito hier ist«, sagt Kelia.
Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es eine Sache unter Männern, ein Wettbewerb oder etwas in der Art. In diesem Fall ist es dämlich. Naito vertraut Lorn nicht, so viel ist offensichtlich, aber er sollte Kelia vertrauen. Sie hat ihn beim Angriff der Vigilanten nicht im Stich gelassen. Sie liebt ihn. Er hätte das Risiko nicht eingehen müssen, mit nach Lyechaban zu kommen.
»Das ist über ein Jahr her.« Er wendet sich wieder Naito zu. »Und meine Kaesha besteht auf einer Entschuldigung. Ihr Menschen seid doch bestimmt nicht so lange nachtragend, oder?«
»Hier geht es um fehlendes Vertrauen, Lorn«, erwidert Naito. Es ist offensichtlich, dass ihn der Fae ärgern will, aber Naito schafft es auf bemerkenswerte Weise, sich zusammenzureißen, obwohl Lorn Kelia sogar als seine Kaesha bezeichnet hat.
»Ah ja. Ich schätze, das ist nicht unbegründet.« Er schnippt mit den Fingern, rückt seine mit Manschetten besetzten Hemdärmel zurecht und erhebt sich. »Zumindest kann ich dafür sorgen, dass ihr euch nicht lange aufhalten müsst. Ich habe nicht die Absicht, die Rebellion mit zusätzlichen Mitteln zu unterstützen. Atroth ist ohnehin schon verärgert, dass ich euch Silber gegeben habe, auch wenn es sich dabei nur um eine kleine Summe gehandelt hat. Ihr müsst euch jemand anders suchen, den ihr bestechen könnt.«
»Wir sind nicht hier, weil wir Silber wollen«, erklärt Lena. Obwohl Lorn Englisch gesprochen hat, habe ich das Gefühl, dass mir hier irgendetwas entgeht.
»Nicht?« Sein Blick wandert zu mir. »Ich hatte gestern einen interessanten Besucher. Mich überrascht nur wenig, aber wenn der Schwertmeister des Königs höchstpersönlich an deine Tür klopft … Tja, selbst jemand wie ich hätte das nicht vorhersehen können.«
Kyol sucht mich noch immer. Warum bin ich deswegen eher nervös als erleichtert?
»Was hat Taltrayn gesagt?«, will Aren wissen.
»Warum setzen wir uns nicht?« Lorn deutet auf einen glänzenden Tisch zu unserer Linken. Er sieht aus, als sei er aus Jaedrik gemacht. In diesem Fall wäre das eine ungeheure Geldverschwendung, aber das würde auf dieses ganze Zimmer zutreffen.
Lorn setzt sich an den Tisch. Lena nimmt ihm gegenüber Platz. Kelia und Naito bleiben stehen. Ich würde ihrem Beispiel gern folgen und lehne mich an die Wand, aber dann legt mir Aren eine Hand auf die Schulter. »Setz dich, McKenzie.«
Ich schüttle seine Hand ab, lasse mich jedoch auf einem Stuhl nieder.
»Ist sie schüchtern?«, erkundigt sich Lorn und starrt mich an.
»Vermutlich plant sie gerade einen Fluchtversuch«, entgegnet Aren. Dann zieht er mir die Kapuze vom Kopf. Mit entblößtem Gesicht fühle ich mich nackt, aber es gelingt mir, einen unbewegten Gesichtsausdruck beizubehalten. Das hoffe ich zumindest, denn Aren hat recht. Ich lege mir im Kopf langsam einen Plan zurecht.
»Ah, da bist du ja.« Lorn lächelt. »Und die Edarratae . Wirklich wunderschön. Taltrayn macht sich große Sorgen um dich. Sehr seltsam. Ich habe den Schwertmeister noch nie so besorgt gesehen, aber er hätte mir beinahe die Kehle aufgeschlitzt, als ihm das, was ich zu sagen hatte, nicht gefiel.«
»Was hast du ihm erzählt?«, will Lena wissen.
Lorn lässt mich nicht aus den Augen. »Ich habe ihm erzählt, dass ich von einer McKenzie Lewis weder etwas gesehen noch gehört hätte, was zu dieser Zeit auch durchaus der
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