Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)

glauben, dass seine schmerzverzerrte Stimme eine andere Ursache hat.
    Er seufzt. »Ich kann nicht zulassen, dass der Hof dich zurückbekommt, McKenzie. Wenn du am Leben bleiben willst, dann bleib an meiner Seite.«
    Dann zieht er mich weiter, und ich taumle durch das Dunkel und versuche, mich davon zu überzeugen, dass ich keinen Grund habe, mich schuldig zu fühlen. Aren hat mich nur nicht gefoltert oder getötet, weil er meine freiwillige Kooperation braucht. Ansonsten wäre ich als Schattenleserin nutzlos. Ich könnte lügen, ich könnte ausweichen, ich könnte die Rebellen in eine Falle locken. Aber sollte er inzwischen nicht wissen, dass ich mich nie gegen den Hof wenden werde? Es gibt keinen Grund mehr, mich am Leben zu lassen.
    Chaosschimmer zeigen mir einen Schatten vor mir. Naito. Bevor wir ihn erreichen, hallt ein lautes Ritsch-Ratsch durch die Luft. Kelia kommt aus einem Riss und wirft Aren ein Schwert zu. Sie reicht Naito das zweite und sagt: »Beeilt euch. Die Königstreuen kommen.«
    »Lena?«, fragt Aren.
    »Sie wird mit Unterstützung wiederkommen.«
    Wir sind nur noch wenige Schritte vom Ende des Tunnels entfernt. Ein schwaches Licht von oben ermöglicht es mir, Naitos und Arens Umrisse zu sehen sowie eine Holzleiter, die an der Wand vor uns nach oben führt. Naito steigt als Erster hoch. Ich folge ihm und schneide jedes Mal eine Grimasse, wenn ein Chaosschimmer über meine Hände und Arme zuckt. Als ich durch einen schmalen Spalt im Felsen steige, zittere ich am ganzen Leib. Mir ist nur zu gut klar, dass sich noch Lyechabaner auf den Straßen aufhalten werden.
    Rechts neben mir öffnet sich ein Riss. Mir steigt Arens Körperduft in die Nase, und ich spüre die Wärme seiner Berührung, als er aus dem Licht kommt und mir beim Aufstehen hilft. Blinzelnd sehe ich mich um. Wir stehen auf einem schmalen Streifen Land zwischen der Stadt und dem Fluss. Hinter uns sind Geschäfte und Wohnhäuser fast schon übereinander errichtet. Entlang des Ufers haben Händler ihre Stände aufgebaut. Ich kann den Großteil dessen, was sie rufen, verstehen. Zum Glück beschäftigen sie sich mit dem Verkauf ihres Fischs und ihrer anderen Produkte und deuten nicht mit den Fingern auf Naito und mich. Noch nicht.
    Aren zieht mich vor sich. Ich stolpere weiter, auf eine andere Gruppe von Händlern zu, die mit ihren Karren und Cirikith , ihren Lasttieren, die aussehen wie eine Kreuzung aus Pferd und Stegosaurus und kleine, schillernde Schuppen auf dem Körper haben, auf Kunden warten. Die Zügel dieser Tiere und die Karren, die sie ziehen, sind mit geprägten Ankersteinen versehen, um sicherzustellen, dass nichts im Zwischenreich verloren geht, wenn sie durch einen Riss fahren. Wir befinden uns vorn in der Schlange und nahe der Stelle, an der ein breites silbernes Band auf dem Boden aufliegt. Um das Silber überqueren und den Halbkreis nackter Erde auf der rechten Flussseite erreichen zu können, wo sich das Tor befindet, müssen die Händler Zoll bezahlen. Hier warten die Inspektoren. Als einer von ihnen aufblickt und mich direkt ansieht, halte ich die Luft an.
    In der nächsten Sekunde sieht er nach links. Ein Dutzend Risse öffnen sich in der Luft direkt über dem Silberband. Rebellen stürmen mit gezückten Schwertern und brüllend aus dem Licht. Eine zweite Welle taucht direkt hinter ihnen auf, die von Lena angeführt wird.
    Ich bin erstaunt, dass die Händler nicht weglaufen. Sie laufen sonst immer weg, retten ihre Haut und lassen ihre Waren und Cirikith im Stich. Die Rebellen haben seit Jahren erfolgreich Tore auf diese Art angegriffen, aber vielleicht haben die Händler langsam genug davon, ständig im Kreuzfeuer zu stehen. Nur wenige Händler fliehen. Die restlichen ziehen die Waffen und stellen sich zwischen ihre Karren und die Rebellen.
    »Sidhe« , murmelt Aren leise. Doch nach einem Blick auf ihn weiß ich, dass er sich nicht wegen einiger Händler mit Schwertern in der Hand Sorgen macht. Ich folge seinem Blick die Straße in Richtung Stadtmitte entlang. Etwa zwei Dutzend Königstreue sprinten auf uns zu. Plötzlich und mitten im Lauf öffnen sie Risse und verschwinden.
    »Los!« Aren schubst mich vorwärts. Ich rutsche auf dem Silber aus. Rings um mich herum öffnen sich Risse – die Königstreuen tauchen wieder auf –, und Metall klirrt gegen Metall.
    Einige der Schwertkämpfer des Königs versuchen, die Rebellen abzufangen. Während ich mich auf alle viere hochdrücke, kommt eine zweite Welle am Rand des