Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
Er ist der Mann, für den ich ihn halte. Aren ist derjenige, der mir etwas vorspielt. Lena hat es ja auch offen zugegeben.
Ich sehe Kelia an, die entspannt in Naitos Armen an der gegenüberliegenden Wand steht. Sie spielen mir nichts vor. Keiner von ihnen ist blutrünstig oder desillusioniert.
»Verhandelt.« Ich wollte das Wort so aussprechen, dass es wie ein Befehl klingt, aber es kommt eher wie eine Bitte über meine Lippen. Wenn die Rebellen und die königstreuen Fae einfach nur aufhören würden zu kämpfen, dann hätte jeder gewonnen.
»Wir haben es versucht, McKenzie«, sagt Aren und streicht mir eine Locke hinters Ohr. Die zärtliche Geste steht im starken Kontrast zu der Art, wie er mich behandelt, seitdem ich Paige angerufen habe. »Wir haben Atroth gebeten, die vier Provinzen wiederherzustellen, die er von ihren Nachbarn hat schlucken lassen. Wir haben ihn gebeten, damit aufzuhören, in unsere Häuser einzufallen und uns seine Nalkin-Shom auf den Hals zu hetzen.« Er kniet sich neben mich hin und legt seine Hände auf die Rückenlehne meines Stuhls. »Das Einzige, wozu wir ihn bringen konnten, war, die Torsteuern, die Zölle zu senken. Das hat er wenige Tage nach dem Treffen gemacht … für seine Freunde und Unterstützer. Wir wollen diesen Krieg nicht. Zeichne diese Karte.«
Meine Hand zittert, als ich den Stift über das Papier ziehe. Die Linie ist nichts als eine Verzögerungstaktik. Selbst wenn er die Wahrheit sagt, kann ich ihnen den Standort des Sidhe Tol nicht verraten. Das würde nur zu noch mehr Gewalt führen.
»Ich würde dich gern etwas fragen«, sagt Lorn über das leise Kratzen des Stifts auf dem Papier hinweg. »Warum hast du dich auf die Seite des Hofes gestellt?«
Ich sehe ihn an.
»Atroth ist nicht gerade ein Menschenfreund«, fährt er fort. »Er macht Ausnahmen für Menschen wie dich, die die Gabe des Sehens haben, aber du musst die Feindseligkeit doch trotzdem spüren. Die Männer des Königs sind nicht wie die Bürger von Lyechaban – sie würden dir deine Edarratae nicht aus der Haut schneiden –, aber sie mögen dich nicht, oder?«
Atroth ist kein Menschenfreund? Der Hof hasst meinesgleichen? Sie waren in meiner Gegenwart immer vorsichtig, aber Hass habe ich nie gespürt. Sie haben sich um mich gekümmert.
»Oder?«, wiederholt Lorn seine Frage.
»Einige von ihnen tun es«, gebe ich zu. Einige sind aber auch meine Freunde. Sie reden mit mir und interessieren sich für mein Leben und meine Welt. Zumindest habe ich das bisher immer geglaubt. Inzwischen ergibt nichts mehr einen Sinn.
Ich wende mich wieder meiner Zeichnung zu. Meine Karte muss echt aussehen. Ansonsten werden sie merken, dass ich nicht mit ihnen kooperiere, wenn sie keinen Riss öffnen können, wenn ich ihnen eine Stadt nenne. Aber wohin soll ich sie schicken?
»Es gibt Gerüchte über einen Skandal im Inneren Zirkel des Königs.«
Ich zeichne das Ufer des Flusses nicht weiter, eines Flusses, der sich nirgendwo in der Nähe des Sidhe Tol befindet.
Aren, der noch immer neben mir kniet, drängt mich: »Zeichne weiter, McKenzie.«
»Meine Informanten sagen, Taltrayn hätte sich in einen Menschen verliebt.«
Der ganze Raum schweigt. Ich starre Lorn an. Er zieht seine Lippen kaum merklich hoch, aber sein Blick ist offenkundig amüsiert. Aren ist erstarrt.
»Zuerst habe ich dieses Gerücht ignoriert«, fährt Lorn fort. »Schließlich soll Taltrayn einen Lebensbund mit der Tochter von Srillan eingehen.«
Ich schließe die Augen und lege die Finger fester um den Stift. Es ist wahr. Oh Gott, es ist wahr.
»Dann habe ich gehört, dass er den Bund verweigert hätte.«
Mein Herz bleibt mitten im Schlag stehen. »Was?«
Aren stößt einen Fluch aus.
»Taltrayn hat dem Lebensbund nie zugestimmt«, sagt Lorn und sieht mich an. »Offensichtlich liebt dich der Schwertmeister.«
Mir wird ganz kalt, meine Finger fühlen sich taub an, und ich bin verwirrt. Der Stift zittert in meiner Hand.
»Er lügt«, sagt Aren, der noch immer neben mir kniet. Es blitzt an meinem Kinn, als mich seine Finger dort berühren. Zärtlich dreht er meinen Kopf, damit ich ihn ansehen kann. »Zehn Jahre, McKenzie. Du hast zehn Jahre lang auf ihn gewartet. Glaubst du wirklich, er hätte seine Meinung geändert? Denkst du tatsächlich, dass er dich plötzlich will?«
Sein Gesicht ist angespannt, und in seinen Augen glänzt irgendetwas, aber ich bin viel zu wütend, als dass ich wissen will, was es ist. Dieser Mistkerl. Dieser Hurensohn.
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