Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
man kann ihm seine Ungeduld deutlich ansehen. »Wir haben keine Zeit, um das zu besprechen.«
»Du kannst mich zum Palast bringen«, sage ich, »aber ich werde nicht mit nach Haeth kommen.«
Blätter rascheln zu unserer Linken. Ein weiterer Fae nähert sich uns durch den Wald. Er kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich glaube nicht, dass er zu Kyols Schwertkämpfern gehört. Vermutlich dient er unter Radath. Da ein Fae nicht zusammen mit zwei Menschen durch einen Riss gehen kann, wundert mich seine Anwesenheit nicht.
»Was ist los?« , fragt der Neuankömmling.
Daz sagt ihm, dass ich mich weigere, mit nach Haeth zu kommen. Ich starre auf den Boden und tue so, als würde ich ihnen nicht zuhören, während sie darüber diskutieren, was sie mit mir machen sollen. Obwohl es ziemlich praktisch ist, dass ich den Großteil dessen, was sie sagen, verstehe, fühle ich mich bei ihrer Unterhaltung auch unwohl. Ihren Worten zufolge denkt Radath, er könne das Falschblut finden, indem er Haeth angreift. Ob das Falschblut nun Sethan oder Aren ist, geht aus ihrem Gespräch nicht hervor.
Der neue Fae hebt eine Hand und unterbricht Daz mitten im Satz. »Ich werde Shane nach Haeth bringen. Mach mit der Schattenleserin, was du willst.«
Er deutet auf Shane, der mich fast schon verlegen angrinst. »Man sieht sich.«
Als sie gegangen sind, mustert mich Daz und sieht ganz und gar nicht zufrieden aus. Schließlich seufzt er und meint: »Ich werde dich in den Palast bringen.«
19
D er Fae hält sein Wort. Wir verlassen den Riss vor dem schwer bewachten Westeingang des Silberpalastes. Hinter mir liegen die Vororte von Corrist, und vor mir ragt eine Mauer aus Silber in den Himmel. Das Fallgitter an ihrem Fuß ist halb hochgezogen. Fae des Hofs stehen Wache auf der anderen Seite, den Finger am Abzug ihrer Armbrust. Sie senken ihre Waffen erst, als Daz etwas über den Betrug von Kimkis sagt. Zumindest glaube ich, dass er das gesagt hat. Es muss ein Passwort sein, da die Wachen uns daraufhin durchlassen.
Die wohlhabendsten Kaufleute der Hauptstadt haben ihre Geschäfte innerhalb der Mauern. Die Straßen sind überfüllt, aber wir kommen schnell voran, oder zumindest so schnell, wie ich kann, da ich mit meinen Menschenbeinen Daz aufhalte. Wir betreten den südlichsten Turm des Silberpalasts. Ich habe nie eines der vielen Schlösser in Europa besucht, was eigentlich sehr schade ist, da mich Kyol leicht hinbringen könnte, aber ich stelle mir vor, dass sie von innen so ähnlich aussehen müssen: Steinmauern, Wandteppiche mit komplizierten Mustern, gewebte Läufer in den Gängen. Aber keine Kugeln als Wandleuchten, die die Steinmauern in blau-weißes Licht tauchen und für die kühle und ruhige Stimmung sorgen.
»Warte hier«, sagt Daz. Er geht auf den Thronsaal zu, bevor ich überhaupt auf seine Worte reagieren kann.
Aber es gibt schlimmere Orte, um zu warten. Ich stehe im Skulpturengarten des Palastes, der mit seinem Marmorboden, der Glasdecke und den gemeißelten Statuen wunderschön ist. Und ruhig. Der ganze offene Hof ist ins morgendliche Sonnenlicht getaucht, ergießt sich über die auf Steinbänken sitzenden oder in Gruppen zusammenstehenden Fae.
»McKenzie?«
Ich erkenne die Stimme nicht, und auch der Fae würde mir nicht bekannt vorkommen, wenn er nicht ein Premthysteband in seinem seidigen grauen Haar tragen würde. Es ist eine Weile her, dass ich Lord Raen, den Ältesten von Cyneayen, Hochedlen von Tayshken, das letzte Mal gesehen habe, aber jetzt erkenne ich Kelia im Schwung seiner Nase und der Form seiner Augen wieder. Diese Augen sehen sich jetzt unruhig um, als hätte er Angst, ihn könne jemand dabei beobachten, wie er sich mit mir unterhält. Jede Fae hier wird uns bemerken – meine Edarratae verraten mich.
»McKenzie«, sagt er erneut. Er sieht zum Himmel hinauf, als würde er dort die englische Übersetzung für das finden, was er mir sagen will. »Meine Tochter Kelia.« Er holt tief Luft, sieht mich an und betont: »Kelia. Geht es ihr gut? «
Ich stehe da, zwinge mich zu einem verwirrten Stirnrunzeln und tue so, als würde ich ihn nicht verstehen, während sich mir vor Mitgefühl der Magen zusammenzieht.
»Sidhe.« Er reibt sich mit der Hand übers Gesicht. »Du … Du würdest ihren Namen kennen, wenn du ihr begegnet wärst. Ich brauche …« Er sieht sich erneut im Skulpturengarten um. »Ich brauche einen Übersetzer, aber das ist unklug …«
Seine restlichen Worte verstehe ich nicht mehr. Armer Mann. Ich
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