Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
Stattdessen konzentriere ich mich auf den letzten Teil seiner Aussage. »Was meinst du mit ›in letzter Zeit‹?«
»Sie haben mich die letzten Wochen ziemlich auf Trab gehalten«, sagt er mit vollem Mund.
»Mehr als sonst?«
»Ja. Normalerweise haben sie mich nur geholt, wenn die Rebellen angegriffen haben, aber inzwischen gehen sie selbst in die Offensive. Hast du vom Schlächter von Brykeld gehört?«
Ich nicke langsam.
»Er hat die beste Schattenleserin des Hofes entführt. Vermutlich ist sie tot, aber sie haben die Suche nach Jorreb vor einigen Wochen intensiviert und angefangen, jedes Haus zu durchsuchen, in dem sich angeblich Rebellen aufhalten, in der Hoffnung … Was ist?«
Ich merke, dass ich die Stirn runzle, aber ich war davon ausgegangen, dass ihm Kyol erzählt hat, wer und was ich bin. Gibt es einen Grund dafür, dass er es nicht getan hat? Er hat meinen Namen immer geheim gehalten, aber jetzt kennen die Rebellen ihn. Ich wüsste nicht, was die Geheimhaltung noch für einen Sinn haben sollte.
»Ich bin nicht tot«, sage ich zu Shane.
»Du bist nicht …« Dann reißt er die Augen auf. »Scheiße. Ich dachte, du hättest einfach nur die Gabe des Sehens. Ich wusste nicht, dass du tatsächlich schattenlesen kannst. Scheiße«, sagt er noch einmal. »Du hast Glück, dass du noch am Leben bist.«
Ich bin unangenehm berührt und ergreife meine Gabel. »Bringst du oft Leute hier unter?«
Er hat kein Problem mit dem Themawechsel. Mit einem Achselzucken lässt er sich auf seinem Stuhl zurückfallen. »Ich habe ständig Leute hier. Das Haus ist groß, wie du selbst gesagt hast. Da kann man schon mal einsam werden.«
»Wer ist einsam, Baby?«, fragt eine müde Stimme.
Die Brünette, die das Frühstückszimmer betritt, ist schlank, sieht aus wie ein Model und trägt einen schwarzen Bademantel – offen und nichts darunter.
»Ich nicht, wenn du hier bist, Süße«, erwidert er und küsst ihren nackten Bauch. Ich starre aus dem Fenster, während er ihr den Gürtel zubindet.
»Wer ist das?«, will sie wissen.
»McKenzie.« Er legt einen Arm um ihre Taille. »Sie wird eine Weile hierbleiben.«
Das Mädchen mustert mein langes, feuchtes Haar, das ungeschminkte Gesicht und das schlichte, langärmlige T-Shirt. »Eine Cousine?«, fragt sie Shane, als ob es nicht möglich wäre, dass er sich für jemanden wie mich interessiert.
Er lacht. »Wir sind nicht verwandt. Sie ist eine … Geschäftsfreundin. Warum machst du dir nicht erst mal Frühstück?«
Als sie in die Küche stolziert ist, frage ich: »Ist sie öfter hier?«
»Carla? Nein. Sie ist zum ersten Mal hier.« Er spießt Waffelstücke auf seine Gabel und wirft sie sich ein. Als er die Gabel wieder sinken lässt, taucht er seine Manschette beinahe in den Sirup auf seinem Teller. Er schiebt den Ärmel ein Stück hoch.
Er hat eine Narbe auf dem rechten Unterarm. Sie ist hässlich, fast fünf Zentimeter breit und so lang, dass sie sich von seinem Handgelenk fast bis zum Ellbogen erstreckt.
»Was ist passiert?«, will ich wissen.
Seine Gabel bleibt auf halbem Weg zum Mund in der Luft hängen. Er sieht erst die Narbe und dann mich an, und in seinen Augen scheinen Schatten zu tanzen. Seine Lippen werden schmal. Einige Sekunden vergehen, dann antwortet er: »Unser Job ist gefährlich.« Er deutet auf meinen Hals. »Stammt deine von Jorreb?«
Ich lege die Finger auf die vernarbte Haut und erwarte beinahe, dass es wieder wehtut, doch das einzige Gefühl, an das ich mich aus meiner Zeit mit Aren erinnere, ist sein Abschiedskuss. Der ist immer noch in meinem Kopf.
Genau, wie er es beabsichtigt hat, da bin ich mir ganz sicher.
Ich räuspere mich. »Entschuldige. Ich wollte nicht neugierig erscheinen.«
Carla kehrt mit einem Apfel und zwei Tassen Kaffee zurück. Sie reicht Shane die eine Tasse und behält die andere.
»Kelly und Joe haben es letzte Nacht miteinander getrieben«, sagt sie und setzt sich neben Shane. Er grunzt als Antwort. Ich wünschte, er hätte es nicht getan. Sie wertet es als Zeichen von Interesse und fängt an, über das Sexleben der Leute zu klatschen, die am vergangenen Abend auf der Party waren. Dabei sieht sie nicht einmal in meine Richtung, aber mitten in der Aufzählung der ganzen Männer, mit denen Kelly schon zusammen gewesen ist, sieht mich Shane an, grinst verschmitzt und zuckt mit den Achseln.
Ich will gerade vom Tisch aufstehen, als ich vor dem Fenster einen Blitz sehe. Bevor ich den Fae erkennen kann, der ins Haus
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