Die Schattenmatrix - 20
Gefahr dar, und Euer Widerstand, die genaue Gabe dieser Kinder zu ermitteln, kommt mir reichlich töricht vor. Ich verstehe Domna Priscillas Verhalten nicht. Und ich glaube auch nicht, dass Ihr das Recht habt, für sie zu sprechen.« Emelda fletschte die Zähne. »Wenn die vier Monde zu Mittwinter zusammentreffen, wird der Wächter alle notwendigen Prüfungen durchführen und …« Sie hörte abrupt auf, weil sie bereits mehr gesagt hatte, als sie wollte. Eine Schweißperle glänzte auf ihrer Stirn, sie war blass und saß stocksteif vor kaum verhüllter Wut auf ihrem Stuhl. Sie biss sich auf die Unterlippe.
Miralys zitterte und drängte sich dichter an Liriel. »Lass bitte nicht zu, dass mich der Wächter holt«, wimmerte sie.
Mik, diese Kinder haben schreckliche Angst, nur Vincent empfindet abgesehen von seinem Egoismus offensichtlich nichts. Wer ist dieser Wächter?
Ich habe dir alles erzählt, was ich weiß, Schwester.
»Nanana, Chiya, wir passen schon auf, dass dir nichts geschieht«, sagte sie laut.
»Er wird uns auffressen«, verkündete Emun plötzlich mit angstverzerrtem Gesicht. »Niemand kann uns beschützen.« »Du dummer Jammerlappen«, verspottete Vincent seinen jüngeren Bruder. »Es gibt nichts zu befürchten - weder von den Monden noch von dem Wächter.«
Mikhail holte tief Luft. »Ich glaube, wir lassen uns hier gerade fortreißen«, sagte er selbstsicherer, als ihm zu Mute war. »Aus der Prüfung der Kinder kann kein Schaden entstehen. Liriel wird die Mädchen untersuchen, und ich werde dasselbe mit den Jungen tun, und dann werden wir alles in Ordnung bringen.« Er spürte etwas aus Emeldas Richtung, eine Energie, die er bisher nie wahrgenommen hatte; es war, als würde sein Gehirn Feuer fangen. Glücklicherweise dauerte es nur einen kurzen Augenblick.
Bevor er die Empfindung analysieren konnte, unterbrach Vincent seine Gedanken. »Es gibt nichts zu prüfen - ich bin der Einzige, der den Thron einnehmen kann, und ich will ihn auch!«
Emelda sah erst Vincent, dann Mikhail wütend an, sie erhob sich halb von ihrem Stuhl und setzte sich wieder. »Der Wächter will nicht, dass hier jemand geprüft wird. Er ist bereits jetzt sehr wütend - und er wird Euch töten, wenn Ihr bleibt. Ich bestehe darauf, dass Ihr und Eure Schwester unverzüglich von hier weggeht und …« »Genug!« Mikhail war von seiner eigenen Heftigkeit überrascht. »Ihr vergesst, wer Ihr seid, Emelda. Wir reisen hier erst ab, wenn ich es sage.« Liriel, die Situation gerät außer Kontrolle.
Dessen bin ich mir durchaus bewusst, mein lieber Bruder. Dieses Weib gibt sich die größte Mühe, uns beide zu überschatten - es wundert mich eigentlich, dass sie es nicht schon eher versucht hat. Vielleicht hat sie das. Ich merke, dass ich große Schwierigkeiten habe, Entscheidungen zu treffen - und ich frage mich, ob Alains Schwäche nicht auch daher rührt. Immer wenn ich etwas in Bewegung setzen wollte, kam mir die Konzentration abhanden. Was meinst du damit?
Es hat mich eine gewaltige Anstrengung gekostet, auch nur die Arbeiter hierher zu bestellen, damit sie das Haus reparieren. Ich kam mir vor, als würde ich durch tiefen Schlamm waten. Ich bin seit Monaten hier, aber erst letzte Woche kam ich auf die Idee, wegen der Mädchen um Hilfe zu bitten - was ich vernünßigerweise nach spätestens zehn Tagen hätte tun müssen.
Hmm. Ja. Ich spüre es auch. Es ist, als würde etwas die Kraft aus meinem Körper saugen, es ist sehr fein und zart, und ich glaube, wenn ich allein hier gewesen wäre, hätte ich es erst gar nicht bemerkt. Wir müssen unbedingt diesen Wächter finden, wer immer er ist. Das Ganze fühlt sich an wie eine Matrixfalle und doch auch wieder nicht. Mir ist so etwas noch nie begegnet.
Emelda sah die beiden aus großen, dunklen Augen an, und ihre kleinen Hände waren gekrümmt wie Klauen. »Ihr wisst gar nicht, was Ihr da tut«, höhnte sie. »Ihr werdet alle sterben.« Dann lachte sie, als würde sie diese Aussicht genießen. »Eure erbärmlichen Gaben können es mit dem Wächter nicht aufnehmen.«
»Können Eure es denn?«, fragte Liriel mit trügerischer Ruhe. »Ich bin eine Dienerin des Großen. Ich kann in die Zukunft sehen und weiß, was geschehen wird.«
»Dann unterliegt Ihr einer Täuschung. Niemand kennt die Zukunft. Wir können bestenfalls einen Blick auf sie erhaschen, und selbst der lässt meist verschiedene Deutungen zu. Ihr habt ja nicht einmal gewusst, dass ich kommen würde, bevor Mikhail es Euch sagte.«
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