Die Schattenmatrix - 20
Außergewöhnliches vorgefallen.
Der Tumult schien bis in die Küche vorgedrungen zu sein, denn einen Moment später platzten Mathias, Tomas und die übrigen Männer mit der Hand an der Waffe in den Speisesaal. Sie blieben stehen, erblickten die bewusstlose Frau auf Lady Elhalyns Platz und waren unsicher, was sie tun sollen. Mikhail freute sich über ihre Wachsamkeit und die ständige Bereitschaft, ihm zu Hilfe zu kommen.
Da sich die Lage wieder entspannt hatte, blickte sich Mikhail im Raum um und lehnte Alain in seinen Stuhl zurück. Er sah, dass Liriel Mira an ihre üppige Brust drückte, dabei sanft über das Haar des Mädchens strich und so leise mit ihr sprach, dass Mikhail ihre Worte nicht verstehen konnte. Duncan stand mit entsetztem Blick im Eingang zur Küche, vor sich ein Tablett mit gekochtem Getreide. Schließlich zitterten seine Hände so heftig, dass die Schüssel zu Boden fiel.
Valenta tätschelte Emuns Hand, und ihre Augen funkelten immer noch vor Freude. »Du warst wundervoll, Mikhail«, sagte sie. »Wenn ich gewusst hätte, dass ein Teller mit Huhn eine solche Wirkung hat, hätte ich schon längst einen nach Emelda geworfen.« »Das glaube ich dir gern.«
Alain regte sich, hob den Kopf und wirkte ein wenig orientierungslos. Er blickte an sich hinab. »Wieso bin ich denn so schmutzig? Mutter wird wütend sein. Das sind meine besten Sachen. Daryll hat mir noch geholfen, sie auszusuchen.« Er klang verwirrt und unkonzentriert und hatte den quengelnden Tonfall eines kleinen Kindes.
Mikhail tätschelte Alains Schulter und dachte, dass seine schäbigen Kleider reif für den Lumpensack waren, und das nicht erst, seit sich Alain von oben bis unten mit Essen bekleckert hatte. Mikhail, der nie besonders auf seine Kleidung geachtet hatte, außer dass er zur jeweiligen Gelegenheit passend angezogen war, empfand Empörung angesichts der Aufmachung des Jungen. Priscilla war einfach unfähig, für ihre Kinder zu sorgen. Das war keine neue Erkenntnis, er hatte sie schon mehrfach gehabt und nur wieder vergessen. Wie, fragte er sich, hatte die Wahrsagerin das wohl fertig gebracht? Er war ein ausgebildeter Telepath, und zwar ein durchaus fähiger, wenn auch kein bemerkenswerter. Mikhail fühlte sich unwohl und zweifelte mal wieder an seinen Fähigkeiten, denn er war überzeugt, dass er Emeldas Tun hätte voraussehen und sie aufhalten müssen. Sie hatte es geschickt angestellt, aber das schien ihm keine akzeptable Entschuldigung dafür zu sein, dass er die Natur dieser Vernebelung nicht durchschaute. Er hatte sogar seine Schwester holen müssen. Wie ließ ihn denn das als Mann aussehen? Er war plötzlich wütend auf jedermann, einschließlich sich selbst. Aber zum ersten Mal fühlte er sich an diesem Ort wirklich klar im Kopf. Unglücklicherweise übte diese Klarheit gnadenlose Kritik an der Langsamkeit, mit der er das Wesen dieses Nebels in seinem Hirn erfasst hatte. Marguerida hatte gesagt, dass er gleichgültig klinge, aber er hatte zu wenig darauf geachtet, hatte ihr nicht richtig zugehört. Er hatte seine Tüchtigkeit so unbedingt unter Beweis stellen wollen und daher gar
nicht bemerkt, dass er sich seltsam benahm, Dinge übersah und alles Mögliche vergaß. Nun fühlte er sich, als wäre er aus einem schrecklichen Traum erwacht, um sich in einem neuen Albtraum als Versager wieder zu finden. Die Erleichterung, die er noch vor wenigen Minuten über die Klarheit seines Denkens empfunden hatte, wandelte sich in blinde Wut über seine eigene Dummheit. Dann wurde ihm die Vergeblichkeit dieses Grübelns bewusst, und er musterte wieder Alain. Der junge Mann starrte mit herabhängendem Unterkiefer ins Leere. Das klare Bewusstsein, das er für einen allzu kurzen Moment gezeigt hatte, war verschwunden, als hätte es nie existiert. Mikhails Wut über sich selbst machte dem Zorn auf Domna Elhalyn Platz. Wie hatte Priscilla es nur zulassen können, dass …
Emelda bewegte sich, und Mikhail unterbrach seine Gedanken. Er wusste nicht genau, was sie war, nur dass er eine Telepathin wie sie noch nie erlebt hatte. Er war sich allerdings sicher, dass sie eine große Gefahr für die Kinder darstellte. Bisher hatte er alles fürchterlich verpfuscht, aber nun konnte er ein wenig Wiedergutmachung leisten.
Nimm ihren Stein - sofort! befahl Liriel schroff. Mikhail handelte, ohne nachzudenken. Mit wenigen Schritten hatte er das Tischende erreicht, seinen Ekel überwunden und die Hand um den Lederriemen geschlossen, der um den dürren Hals
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