Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schattenmatrix - 20

Die Schattenmatrix - 20

Titel: Die Schattenmatrix - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
Vom Netzwerk:
flirten versuchte. Merkwürdig, dass ihm das früher nie aufgefallen war. Inzwischen hatte Emun Alain an ein Tischende gesetzt und eine Serviette auf seinen Schoß gebreitet. Mira zupfte an Liriels Ärmel, aber Vincent nahm Liriel bei der Hand und zog sie zu einem Stuhl, schob ihn der jungen Frau zurecht und nahm dann neben ihr Platz. Es war ein alter Stuhl mit hoher Lehne, der wieder einmal geleimt werden musste, und er knarrte hörbar unter dem Gewicht der Technikerin. Mira ergatterte den Platz auf der anderen Seite von Liriel, obwohl sie normalerweise möglichst weit entfernt von Vincent saß.
Mikhail widerrief seine Einschätzung von Miralys. Sie fürchtete sich genauso vor ihrem Bruder wie die übrigen Geschwister, allerdings konnte sie es besser verbergen. Nun schien sie wild entschlossen zu sein, im Schatten von Mikhails Schwester Schutz zu suchen, komme, was wolle. Die Mischung von Entschlossenheit und Bewunderung auf ihrem Gesicht ließ sie noch schöner aussehen. Zweifellos hatte sie entschieden, dass Liriel eine wertvolle Verbündete war.
Mikhail sah Emun und Valenta auf der gegenüberliegenden Tischseite Platz nehmen und wartete auf das Erscheinen von Priscilla Elhalyn. Das tat er immer, wenngleich sie nur selten zu den Abendmahlzeiten kam. Er hoffte, Liriels Ankunft würde sie zu höflichen Umgangsformen veranlassen. Wenn sie kam, führte er sie immer erst an ihren Platz, bevor er sich selbst setzte.
Duncan kam gerade mit einer Servierplatte kläglich aussehenden Geflügels, dessen Beine ausgerenkt waren und schlaff herabhingen, aus der Küche, als Emelda aus dem Salon hereinrauschte. Sie trug ein blaues Kleid, das Mikhail noch nie an ihr gesehen hatte, und ihr Haar war zur Abwechslung ordentlich nach hinten frisiert. Ihre vorspringenden Augen musterten ihn unruhig.
»Domna Priscilla ist viel zu aufgeregt, um mit uns zu essen«, verkündete Emelda. »Sie hat mich an ihrer Stelle
geschickt.« Mit diesen Worte marschierte sie an den Kopf der Tafel auf Priscillas Platz zu und setzte sich mit hochnäsiger Miene. Sie legte die Hände neben den leeren Teller und lächelte die Anwesenden an.
Mikhail runzelte die Stirn. Emeldas plötzlicher Kleiderwechsel stimmte ihn misstrauisch. Sie führte garantiert etwas im Schilde, denn er hatte sie seit seiner Ankunft immer nur in dem Rot einer Bewahrerin gesehen. Irgendetwas an ihrem Auftreten störte ihn, eine Spannung, die er früher nie an ihr wahrgenommen hatte. Vielleicht hatte Liriels Ankunft sie durcheinander gebracht. Wenn ja, war er aufrichtig froh darüber.
Dann fragte er sich, ob Priscilla wirklich zu aufgeregt war oder ob sie vielmehr dazu gezwungen wurde, in ihrer ungesunden Kammer zu bleiben. Er hegte schon seit geraumer Zeit den Verdacht, dass Emelda ihre Herrin mit dem einen oder anderen üblen Gebräu betäubte, das er jedes Mal roch, wenn er sich in den hinteren Teil des Hauses wagte. Mikhail war seinem Verdacht jedoch nie nachgegangen - schließlich war nicht Priscilla sein Schützling, sondern die Kinder. Oder hatte er sich nur deshalb geweigert, weiter nachzuforschen, weil Emelda so offenkundig feindselig und wachsam war, wenn es um ihre Herrin ging? Es war zu spät, sich jetzt noch über die Vergangenheit den Kopf zu zerbrechen. Wie sollte er bloß mit der Gegenwart umgehen?
Plötzlich fiel ihm ein, wie er in Margueridas ersten Tagen in Arilinn mit ihr im Garten gesessen hatte. »Wenn es doch nur ein richtiges Lehrbuch gäbe - am besten gleich mehrere! Es macht mich wahnsinnig, dass ich die Matrixwissenschaften ohne Nachschlagewerke studieren muss! Die Aufzeichnungen im Skriptorium sind meinen Vorstellungen nach absolut unbrauchbar, denn wo sie nicht völlig unklar sind, flüchten sie sich in Verschwommenheit!« Dann hatte sie ihn angelächelt, und er hatte gespürt, wie sein Herz einen Sprung machte.
Als Mikhail sich nun diese Worte in Erinnerung rief, wünschte auch er sich, er hätte ein Buch zur Hand, das ihm sagte, was er als Regent tun durfte und was nicht. Er war nie zuvor in einer Lage gewesen, in der er nicht gewusst hatte, wo sein Platz im Gefüge des Ganzen war, und er stellte fest, dass ihm das überhaupt nicht behagte. Nie hatte er die Frustrationen besser verstanden, die Marguerida erlebt haben musste, als sie versuchte, sich die darkovanischen Gebräuche ohne ihre gewohnten Hilfsmittel anzueignen.
In diesem Augenblick wäre ein netter Text über alle Winkel und Ecken von Laran wirklich sehr hilfreich gewesen. Hätte Mikhail etwas

Weitere Kostenlose Bücher