Die Schattenmatrix - 20
ermutigend. Nach der verrauchten Atmosphäre des Hauses roch die Luft sauber, und sie kühlte Mikhails Gesicht Er blieb stehen, atmete tief ein und ließ sich von der kalten Luft erfrischen. Es war ein angenehmes Gefühl. Als Mikhail sich der Hecke näherte, die den Garten vom Stall trennte, sah er, dass die große Seekrähe ihn aus einem leuchtenden Auge beobachtete. Sie hob ihre Flügel, so dass die weißen Ränder im blassen Sonnenlicht aufblitzten, und krächzte laut.
»Wenn ich dich doch damals nur verstanden hätte«, sagte Mikhail zu dem Vogel und war ein wenig verlegen, weil er mit einem Tier sprach. Die Krähe zog die Flügel wieder ein und presste sie fest an ihren Körper, so dass es aussah, als würde sie mit den Achseln zucken. »Du hast getan, was du konntest«, schien sie zu sagen. Die Geste war so menschlich, dass Mikhail unwillkürlich lachen musste, was in der Stille des Morgens erschreckend laut klang. Aber es tat gut zu lachen, und die Krähe schien
nichts dagegen zu haben. Schließlich flog sie weg, und Mikhail setzte seinen Weg zu den Ställen fort.
Dort roch es nach Dung und Stroh und den warmen Ausdünstungen der Pferde. Er hörte die Stimmen der Männer in der Nähe und das Begrüßungswiehern von seinem Hengst Stürmer. Alles war beruhigend normal. Dinge wie ein uraltes Chieri und Matrixfallen gehörten der vergangenen Nacht an und nicht diesem Tag. Mikhails Weg war endlich klar. Und so groß auch seine Neugier war, mehr über das seltsame Wesen bei der Quelle herauszufinden, so hatte er doch kein Verlangen, es noch einmal zu stören.
Er war froh, dass er sich um die Kinder kümmern durfte. Es grenzte an ein Wunder, dass sie überlebt hatten, und Mikhail war unendlich dankbar dafür. Und sobald er die Matrix zerstört hatte, die in seiner Hand baumelte, würde auch Emelda kein Problem mehr darstellen. Mikhail ging zum Amboss, der an der hinteren Wand des Stalles stand. Sein Pferd wieherte enttäuscht, als er an ihm vorbeiging. »Ich kümmere mich gleich um dich, versprochen«, sagte er zu dem großen Braunen.
Mikhail legte den funkelnden Stein auf das dunkle Eisen des Ambosses und nahm einen mittelschweren Hammer zur Hand. Der Stein leuchtete auch in der düsteren Scheune von innen heraus, ein klarer Beweis dafür, dass er immer noch sehr mächtig war, auch wenn das Feuer ihn geläutert haben mochte. Mikhail roch das Schmiedefeuer, in dem die Hufeisen zum Glühen gebracht wurden, das angenehm nach Asche duftete. Er hob den Hammer und hielt inne. Es widerstrebte ihm, seine Aufgabe zu vollenden.
Entscheidungen zu treffen ist leicht, dachte er, danach zu handeln dagegen schwer. Und hatte er nicht ohnehin alles gründlich verpfuscht? Musste er es noch schlimmer machen, indem er möglicherweise die armselige kleine Frau
umbrachte, die noch immer gefesselt und geknebelt im Speisesaal saß?
Nicht, dass er noch nie getötet hätte, denn er hatte einst in den Bergen oberhalb Ardais mit Dyan junior Banditen gejagt. Aber das waren Männer gewesen und gefährliche dazu. Die Sache hier verhielt sich anders, nicht nur weil Emelda eine Frau war, auch wenn ihm allein dieser Umstand gehörig zu schaffen machte. Man hatte Mikhail gelehrt, Matrixsteine mit Respekt zu behandeln, und er hatte noch nie ernsthaft in Erwägung gezogen, einen zu zerstören. Doch dann dachte er an die Sharra-Rebellion und dass jene alte Matrix Darkover beinahe vernichtet hätte, und er hob entschlossen den Arm und schlug hart zu.
Der Hammer sprengte den leuchtenden Stein in mehrere kleine Stücke, die Mikhail anschließend zu Staub zermalmte. Er empfand dabei eine unbeschreibliche Befreiung, als hätte er sich endlich von etwas gelöst, das ihn die ganze Zeit über in Schach gehalten hatte. Dann fegte er die funkelnden Reste in die Asche des Schmiedefeuers und mischte sie unter. Als er den Hammer zurück an seinen Platz an der Wand hängte, fühlte er sich von einem schrecklichen Wachtraum erlöst. Er war wieder Mikhail Hastur, und er hatte einige Pflichten zu erfüllen.
Bis zum späten Vormittag waren die Vorbereitungen getroffen. Mikhail, der diesmal auf Stürmer ritt, drehte sich für einen letzten Blick auf Haus Halyn im Sattel um. Es sah schon jetzt traurig und verlassen aus, obwohl Duncan und die übrige Dienerschaft noch dort waren. Eine schwache Rauchsäule stieg aus dem Küchenkamin auf. Mikhail war nicht traurig, den Ort zum letzten Mal zu sehen, aber er wünschte, die Ereignisse dort wären weniger tragisch verlaufen.
Weitere Kostenlose Bücher