Die Schattenmatrix - 20
Ahnung, wohin wir reiten, oder folgst du einfach nur deiner Nase, Mik?«
»Ich habe ein Gefühl, wo es langgeht, Marguerida, aber nicht mehr.« »Gut. Ich hoffe nur, dort gibt es auch etwas zu essen. Ist es denn noch weit?«
»Keine Ahnung, ich kann nicht einmal raten. Es tut mir wirklich Leid, dass du …«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Mik. Es musste sein, und auch wenn ich es sehr ungern tat, habe ich inzwischen wenigstens genug Übung im Umgang mit der Befehlsstimme. Wäre das vor meiner Zeit in Neskaya passiert, hätte ich Amalie und den netten alten Mann leicht töten können. Oder sie den Verstand verlieren lassen. Es erinnert mich nur immer daran, wie ich damals überschattet wurde. Das stört mich am meisten dabei.«
»Ich kann dir nicht ganz folgen.«
»Bemerkst du denn nicht, dass die Befehlsstimme nichts anderes ist als die zeitweilige Überschattung einer anderen Person? Ich meine, im Wesentlichen habe ich doch mit Donal im Sommer nichts anderes gemacht: Ich habe seinen Geist überschattet und ihn dadurch in die Oberwelt geschickt. Istvana zufolge gibt es verschiedene Wege, jemanden zu überschatten, aber die Befehlsstimme ist der schnellste, einfachste und wirkungsvollste.« Marguerida hielt kurz inne. »Das Schlimmste ist für mich nur, dass es mit jedem Mal einfacher wird. Es könnte irgendwann so einfach werden, dass ich ständig in Versuchung komme, die Stimme zu gebrauchen, ob es notwendig ist oder nicht. Ich vermute, genau das ist auch ihr widerfahren. Sie gewöhnte sich so sehr daran, dass man ihrem Willen folgte, und dann wurde sie vielleicht … süchtig danach? Jedenfalls habe ich vorhin, als ich mich in Amalies Geist drängte, deutlich gespürt, dass Ashara während ihrer
Zeit in Hali alle Leute herumkommandierte, ohne jedes Gefühl für Recht oder Unrecht. Irgendetwas kam ihr wohl abhanden … ich weiß nur leider nicht, was. Und ich glaube fast, ich muss es herausfinden, damit ich nicht versehentlich in ihre Fußstapfen trete.«
»Soweit wir wissen, war sie die erste weibliche Bewahrerin, Marguerida. Und ich glaube, sie hat auch eingeführt, dass Bewahrerinnen unverheiratet bleiben mussten. Vielleicht ist ihr genau das abhanden gekommen, die Möglichkeit, eine Frau zu sein, zu lieben und Kinder zu haben.«
»Ich bitte dich!« Margarets Stimme war schrill, gereizt und barsch. »Du hörst dich schon an wie Ariel!« Sie beruhigte sich gleich wieder und dachte angestrengt nach. »Ich gestehe ihr immerhin zu, dass der Zeitpunkt außergewöhnlich war.« Plötzlich lachte sie bellend, ganz wie Lew Alton, aber es wirkte nicht echt. »Du könntest allerdings Recht haben, dass der Kampf um den Posten der Bewahrerin sie rücksichtslos werden ließ. Wieso vermutest du überhaupt, dass …«
»Leonie Hastur, die letzte jungfräuliche Bewahrerin in Arilinn, war allen Überlieferungen zufolge eine sehr unglückliche Frau. In Armida existiert noch eine Denkschrift, die Damon Ridenow als alter Mann geschrieben hat. Es ist schmerzhaft, sie zu lesen, denn er empfand große Schuldgefühle wegen seiner Taten, hauptsächlich wegen des Schadens, den er der von ihm verehrten Leonie zufügte.« »Ich wusste gar nicht, dass Damon außer dem Journal, das ich in Arilinn gelesen habe, noch etwas verfasste. In dem Journal stand nur wenig Persönliches. Onkel Jeff ließ mich mal einen Blick hineinwerfen, ich fand es interessant, aber nicht sehr lebendig. Jeff hat nie erwähnt, dass es noch mehr Aufzeichnungen gibt.« »Das wundert mich nicht. Der Text in Arilinn ist für die Öffentlichkeit bestimmt, denn er handelt von Damons Entdeckungen über die Natur von Matrizen - ich würde allerdings viel dafür geben, wenn ich erfahren könnte, was er von deiner Matrix gehalten hätte, Liebste. Die Denkschrift in Armida ist dagegen etwas ganz anderes. Ich weiß nicht, warum er sie schrieb oder für wen, außer für sich selbst. Ich fand sie durch reinen Zufall in der Bibliothek, zwischen einem Zuchtstammbuch aus Kennard Altons Zeit und einem terranischen Geografiebuch, das vermutlich Andrew Carr dort gelassen hat. Die Schrift hatte nicht mal einen Titel, es waren einfach nur einige zusammengeheftete Seiten in Damons Handschrift. Ich las sie, oder jedenfalls einen Großteil, dann zeigte ich sie Liriel. Sie bewahrt die Schrift nun in ihrer Höhle in Armida auf, zusammen mit ihren restlichen Schätzen. Frag sie doch einfach mal danach, wenn wir zurück sind.« Während er diese Worte aussprach, wurde es Mikhail
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