Die Schattenmatrix - 20
völlig erschöpft war. Sie fing ihr Bild in dem kleinen Wandspiegel auf und blickte auf eine Fremde mit geschwollenen Augen und roter Nase. Das Haar hatte sich aus der Klammer im Nacken gelöst, und der kurze Pony kräuselte sich in die Stirn.
Margaret streckte der Frau im Spiegel die Zunge heraus, suchte ihre saubersten Kleidungsstücke zusammen und ging ins Badezimmer. Sie war jetzt in Sicherheit, so gut sie es eben sein konnte, und der Bratenduft, der vom untersten Stockwerk aufstieg, trieb sie zur Eile an. Alles würde gut werden, sagte sie sich. Es musste einfach so sein.
Margaret stieg die Treppe in den ersten Stock hinab. Nach einem ausgedehnten heißen Bad fühlte sie sich erfrischt, und zum ersten Mal seit Tagen fror sie nicht. Der Bratenduft ließ ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen, sie versuchte zu schlucken, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Den Wintereinsatz ihres dunkelgrünen, wollenen Überrocks hatte sie fest zugezogen, und er fühlte sie fast wie eine Schlinge an, obwohl er aus weichem Stoff war. Drei Unterröcke und ein schwerer Rock stießen beim Treppensteigen auf den engen Stufen gegen ihre Knöchel und zwangen sie zur Vorsicht. Die Aussicht, neue Leute kennen zu lernen, machte sie ein wenig nervös, und es half ihr auch nichts, dass ihr dieser Umstand bewusst war. Margaret hatte sich ihr ganzes Leben lang bemüht, die angeborene Scheu vor neuen Bekanntschaften zu überwinden. Aber es war jedes Mal das Gleiche - trockener Mund, Schweißausbrüche und ein Anflug von Kopfschmerz. Sie war argwöhnisch, nicht nur gegenüber Fremden, sondern auch gegenüber Menschen, die sie kannte. Es war ein unangenehmes Gefühl, und da sie sich ausschließlich in der Gesellschaft von Telepathen befand, würde sie es noch dazu nur schwer verbergen können. An der Universität hatte zumindest niemand ihre Empfindungen aufgefangen.
Der Gemeinschaftsraum im Turm von Neskaya kam ihr auf den ersten Blick völlig überfüllt vor, dann stellte sich jedoch heraus, dass mit Istvana Ridenow nur sieben Personen anwesend waren. Die meisten hatten rotes Haar, wie es bei den Besitzern von Laran sehr häufig der Fall war, eine Frau allerdings hatte goldene Zöpfe, und Margaret sah auch einen Mann mit dunklen Locken über eisblauen Augen. Die Ver
sammelten warteten offenkundig auf sie. Margaret holte tief Luft. Istvana erhob sich, ihr rotes Kleid schmiegte sich an ihren schlanken Körper. »Marguerida! Du siehst schon viel besser aus. Komm, ich stelle dir meine Leute vor.« Meine Leute. Der Stolz in ihrer Stimme war unüberhörbar, und Margaret spürte auch ihre Gefühle. Es waren freundliche, fröhliche Gefühle, und sie hießen Margaret so herzlich willkommen, dass ihre Ängste fast gänzlich zu schwinden begannen. Überhaupt stand dieser Empfang in völligem Kontrast zu ihrem ersten Tag in Arilinn. Dort war sie von einem Dutzend misstrauischer, kalt blickender Jugendlicher und Mestra Camilla begrüßt worden. Sie hatte sich nicht willkommen gefühlt, keine Freundlichkeit entdecken können. Regis’ Töchter Cassandra und Lina waren damals mit ihr in den Turm gezogen, und sie alle begegneten demselben steifen Schweigen. Man hatte sie kurz vorgestellt und sich dann zu einem Mahl an einen langen Tisch gesetzt. Von jungen Leuten umgeben, die ihre eigenen Kinder hätten sein können, hatte sich Margaret neben Camilla, der einzigen anderen Erwachsenen, schließlich einsamer und fremder gefühlt, als sie es je für möglich gehalten hätte.
Sie wäre damals am liebsten aufgestanden und hinausgegangen und hatte sich zwingen müssen, auf ihrem Stuhl sitzen zu bleiben und die Platten mit den Speisen an der langen Tafel weiterzureichen. »Es geht mir auch schon viel besser, danke.« Beim zweiten raschen Blick stellte sie fest, dass keine der Anwesenden ganz jung war. Ohne Jugendliche, die sie aus harten Augen prüfend musterten, löste sich allmählich die Spannung in ihrem Magen. Nicht dass sie eine Abneigung gegen Jugendliche gehabt hätte, sie war Donal Alar und seinem älteren Bruder Damon während ihres Aufenthaltes in Arilinn sogar sehr nahe ge
kommen. Aber sie musste feststellen, dass Teenager sie doch ziemlich einschüchterten.
»Jose, bringst du bitte noch Wein für Marguerida? Dann wollen wir mal sehen. Ich glaube, ich fange mit unserer Jüngsten an.« Istvana setzte ein strahlendes Lächeln auf, wie eine Gastgeberin der gehobenen Gesellschaft, die entschlossen ist, ihr Fest zu einem Erfolg zu machen. »Marguerida, das
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