Die Schattenmatrix - 20
die vorspringende Nase der Elhalyn ließen sie irgendwie grotesk aussehen. Ihr Mund war fest verschlossen, als hätte er vergessen, wie man lächelt. Sie trug ein unförmiges braunes Wollkleid mit ausgefranstem Saum, ihr Gesicht wurde von einem rechteckigen Schleier verdeckt, der mit Haarnadeln über der Stirn befestigt war. Der Schleier hatte sich an mehreren Stellen in der Schmetterlingshaarspange verfangen, so dass er verrutscht und teilweise sogar zerrissen war.
Priscilla blieb stehen und sah Liriel an. Sie wirkte nicht sonderlich erfreut über den Neuankömmling, aber sie schniefte nur und streckte mit steifer Geste ihre dünne Hand aus. »Willkommen in Haus Halyn. Ich hoffe, die Reise war nicht allzu anstrengend.« Dann bemerkte sie den Mann mit dem Gepäck und runzelte die Stirn. Im selben Moment kam einer der
beiden Gardisten, die Liriel begleitet hatten, herein und klopfte sich die Stiefel ab. Priscilla sah Mikhail fragend an.
»Danke, Domna Elhalyn. Abgesehen davon, dass der Wind seinen Weg durch jede Ritze der Kutsche gefunden und mächtig geheult hat, war die Fahrt nicht unangenehm.«
»Ich habe mich seit vielen Jahren nicht weiter als zehn Meilen von Haus Halyn entfernt, und ich beabsichtige auch nicht, es je zu tun. Ich finde, man sollte besser immer in der Nähe seines Zuhauses bleiben. Diese Herumtreiberei von einem Ort zum anderen scheint mir eine recht törichte Beschäftigung für eine vernünftige Frau zu sein.«
»Das stimmt natürlich, aber manchmal geht es eben nicht anders. Mikhail kann schlecht auch Eure Töchter auf Laran prüfen, deshalb hat er mich gebeten, zu kommen.«
Bevor Priscilla etwas erwidern konnte, ging die Haustür auf, und der alte Duncan trat mit Liriels restlichem Gefolge ein. Sie hatten noch weiteres Gepäck dabei, und plötzlich wirkte die Eingangshalle überfüllt. Der Geruch von nasser Wolle und Schnee wehte herein, als ein eisiger Windstoß die Halle noch mehr abkühlte.
Duncan schniefte, rieb sich die rosige Nase und sagte: »Ich weiß nich’, wohin mit den vielen Leuten, Domna. Und es gibt nich’ genügend Futter für so ‘ne Menge Pferde. Obwohl die Ställe fertig sind.« Er grinste Mikhail an, als wäre er stolz darauf, dass der Stall nun sauber und in einem so guten Zustand war, wie es sich mit den knappen Arbeitskräften und einer nicht eben großen Menge an Material bewerkstelligen ließ. Das Dach war nicht mehr undicht, die Getreidekammer trocken, und die Pferde hatten es fast gemütlicher als die Menschen im Haus.
Der Gardist, der als Erster hereingekommen war und den Mikhail nun als Tomas MacErald, den jüngsten Sohn des derzeitigen Waffenmeisters von Thendara erkannte, nickte ihm
zu und sagte: »Wir können unser Nachtlager auch im Stall aufschlagen, wenn es sein muss.«
»Nein«, antwortete Mikhail. »Ich glaube, wir können die hinteren Zimmer in der Dienstbotenunterkunft schnell herrichten - allerdings werden sie nicht sehr viel wärmer sein als die Ställe, wenn ich ehrlich bin. Und wundere dich bitte nicht, wenn dir Daryll und Mathias mit Jubelrufen um den Hals fallen, Tomas. Sie haben die ganze Zeit über Wache gestanden und werden froh sein, diese Aufgabe endlich mit jemandem teilen zu können. Und wenn du außerdem noch den neuesten Klatsch aus Thendara mitbringst, werden sie überfließen vor Glück.«
Domna Elhalyn blickte die Anwesenden wütend an, dann wandte sie sich an Liriel, als wären sie allein. »Ich weiß nicht, warum Ihr meine Töchter prüfen solltet«, sagte sie. »Ich werde ihnen sowieso nicht erlauben, in einen Turm zu gehen, nur damit sie dort Dinge lernen, die sie gar nicht wissen müssen. Ich hätte Regis Hastur nie gestatten dürfen…« Sie hörte abrupt zu sprechen auf.
Liriel sah ihren Bruder wachsam an. Du meine Güte - sie ist ja noch exzentrischer, als du erzählt hast.
Ich weiß, und es bereitet mir große Sorgen. Ich habe ihr mehrmals zu erklären versucht, dass wilde Telepathen gefährlich sind, aber sie sagt immer, dass sich der Wächter schon um alles kümmern wird. Wer das sein soll, kann ich mir allerdings nicht vorstellen. Eine weitere Gestalt näherte sich am Ende des Flurs. Mikhail musste ein Zittern unterdrücken. Er sah Emelda an und bemerkte den wilden Gesichtsausdruck, den sie unablässig aufgesetzt hatte. Ihre Augen leuchteten grünlich im fahlen Licht der Eingangshalle und mit einer beunruhigenden Intensität. Abgesehen von ihrem kurzen Gedankenaustausch am Tag seiner Ankunft, war es Mikhail nie mehr
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