Die Schattenplage
aufs Dach.
»Wir müssen weg von hier«, sagte Seth.
»Wer bist du?«
»Der Enkel des Verwalters. Fabelheim steht am Rand der Zerstörung.«
Patton lief übers Dach, dass die Schindeln unter seinen Stiefeln nur so splitterten, und Seth folgte ihm. Er rannte auf eine Ecke des Dachs zu, in deren Nähe ein hoher Baum wuchs. Gewiss würde er nicht springen!
Ohne zu zögern, stürzte Patton sich vom Dach und griff nach einem Ast, der prompt durchsackte und abbrach. Patton ließ den Ast los und ergriff den nächsten. Hand über Hand hangelte er sich auf den Baumstamm zu. Dort angekommen, setzte er sich rittlings auf eine Astgabel. »Wirf mir den Chronometer zu.«
»Sie erwarten von mir, dass ich springe?«
»Wenn Springen die einzige Möglichkeit ist, springst du und versuchst dafür zu sorgen, dass es nicht ins Auge geht. Wirf ihn rüber.«
Seth warf Patton die Kugel zu, der sie geschickt mit einer Hand auffing. »Welchen Ast soll ich nehmen?«
»Ein wenig links von mir«, sagte Patton. »Siehst du ihn? Ich habe den besten Ast eigens für dich gelassen.«
Der Ast war mindestens drei Meter vom Dach entfernt und fast zwei Meter unter ihm. Leicht zu verfehlen. Seth stellte sich vor, wie seine Hände gegen den Ast klatschten und abrutschten.
»Denk nicht nach«, befahl Patton. »Nimm Anlauf und spring. Es sieht schlimmer aus, als es ist. Jeder kann das schaffen.«
Seth starrte auf den Boden weit unter ihm. Wenn man aus dieser Höhe stürzte, würde das fast sicher den Tod bedeuten. Er ging rückwärts, und die Schindeln knarrten unter seinen Füßen. Dann spähte er über seine Schulter und sah die Erscheinung über das Dach auf sich zuschweben. Das war der zusätzliche Anreiz, den er gebraucht hatte. Er lief drei Schritte und stieß sich vom Dach ab.
Der Ast kam ihm entgegen, auf seine ausgestreckten Hände zu. Beim Aufprall durchzuckte Seth ein Ruck, aber es gelang ihm, sich festzuhalten. Der Ast gab etwas nach und wippte, brach jedoch nicht. Dann hangelte sich Seth, Pattons Beispiel folgend, auf den Baumstamm zu. Patton selbst stand bereits unter ihm auf festem Boden. Seth folgte ihm verwegen, weil ihm die Schattendame auf dem Dach Sorgen machte, doch auf den letzten drei Metern waren plötzlich keine Äste mehr. Seth ließ sich kurz baumeln und sprang. Patton fing ihn auf.
»Hast du eine Möglichkeit, von hier wegzukommen?«, fragte Patton.
»Hugo«, antwortete Seth. »Der Golem.«
»Geh voran.«
Sie rannten durch den Garten. Als Seth sich umdrehte, konnte er Ephira nirgendwo mehr entdecken. »Wo ist sie hin?«
»Ephira verabscheut Sonnenlicht«, erklärte Patton. »Es hat ihr schon Schmerzen bereitet, überhaupt das Dach zu betreten. Sie war noch nie besonders flink, und sie scheint noch behäbiger geworden zu sein. Sie weiß, dass sie uns nicht fangen kann, zumindest nicht, indem sie hinter uns herjagt. Hast du irgendeine Ahnung, was mit ihr passiert ist?«
»Sie kennen den Wiedergänger in dem Hain in dem Tal zwischen den vier Hügeln?«
Patton warf ihm einen überraschten Blick zu. »Tatsächlich tue ich das.«
»Wir glauben, dass Kurisock sich den Nagel geholt hat, der dem Wiedergänger seine Macht verliehen hat.«
»Wie hat der Wiedergänger den Nagel verloren?«
Sie erreichten den Karren und kletterten auf die Ladefläche. »Lauf, Hugo!«, keuchte Seth. »So schnell du kannst, renn zum Teich.« Mit einem Ruck setzte sich der Karren in Bewegung und holperte über den unbefestigten Weg. Seth entdeckte das noch übrig gebliebene Blitzpulver und teilte es sich mit Patton. »Ich habe den Nagel aus seinem Hals gezogen.«
»Das warst du?« Patton wirkte erstaunt. »Wie?«
»Mit einer Zange und etwas Muttrank.«
Patton betrachtete Seth mit einem breiten Grinsen. »Ich denke, wir zwei werden wunderbar miteinander auskommen.«
»Halten Sie Ausschau nach dunklen Geschöpfen«, sagte Seth. »Irgendwie haben Kurisock und die Schattendame mit Hilfe des Nagels eine Seuche in Fabelheim verbreitet, die alle hellen Kreaturen dunkel macht. Dunkle Feen, Zwerge, Satyre, Dryaden, Zentauren, Wichtel – was Sie wollen. Wenn die Dunkelheit auf Menschen übergreift, werden sie zu Schattenmenschen.«
»Sieht so aus, als sei die Angelegenheit etwas heißer, als ich gedacht hatte«, feixte Patton.
»Wobei mir einfällt«, merkte Seth an, »wieso sind Sie überhaupt hier? Sie sehen nicht mal alt aus.«
»Der Chronometer ist eins der Artefakte. Er hat Macht über die Zeit. Niemand weiß über alles Bescheid, das er
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