Die Schattenplage
Tür war verschlossen.
Seth trat zurück und versetzte ihr einen Tritt. Die Tür zitterte, öffnete sich aber nicht. Die Wucht des Aufpralls ließ sein Schienbein schmerzen. Er trat ein zweites Mal gegen die Tür, doch ohne Erfolg. Also machte Seth ein paar Schritte zurück, duckte sich und rannte los, die Schulter gesenkt, um sich selbst zum Projektil zu machen, und er zielte nicht auf die Tür, sondern dahinter.
Holz barst und splitterte, die Tür flog auf, und Seth schoss hindurch, um auf Händen und Knien zu landen.
Nachdem er sich erhoben hatte, verschloss er die zersplitterte Tür, so gut er konnte. Der Raum war breit und hatte zwei mit Läden verschlossene Fenster. Ein riesiger orientalischer Teppich bedeckte den Holzboden. Bücherregale säumten eine Wand. Neben einem Himmelbett standen mehrere Stühle. Er sah keinen Safe.
Hatten sie sich geirrt, was die Sommerzeit betraf? War der Safe erschienen und wieder verschwunden? Oder musste er erst noch auftauchen? Vielleicht war der Safe ja da, aber irgendwie versteckt. Was immer die Antwort war, Seth blieben nur noch Sekunden, bis er sich als Schatten zu den anderen gesellen würde.
Er rannte zu dem Bücherregal, schaufelte hektisch armeweise Bände beiseite und hoffte, in der Wand einen versteckten Safe zu finden. Als das kein Ergebnis brachte, drehte er sich um und ließ den Blick durch den Raum huschen, und da war er: Er stand in einer Ecke, in der er einen Moment zuvor noch nicht gewesen war – ein schwerer, schwarzer Safe, beinahe so groß wie Seth, mit einer silbernen Scheibe für die Kombination in der Mitte.
Seth lief zu dem Safe hinüber und begann die Scheibe zu drehen. Sie bewegte sich vollkommen gleichmäßig, anders als die an seinem Schließfach, die kippelig war und ein wenig einrastete, wenn man die richtige Zahl erreichte. Er drehte sie zweimal nach rechts auf dreiunddreißig, einmal nach links auf zweiundzwanzig, dann zurück auf die einunddreißig. Als er an dem Griff zog, schwang die Tür lautlos auf.
Ein einziger Gegenstand lag auf dem Boden des Safes, eine goldene Kugel, die ungefähr dreißig Zentimeter Durchmesser hatte; ihre polierte Oberfläche wurde durchbrochen von mehreren Scheiben und Knöpfen. Seth konnte sich nicht vorstellen, wozu das seltsame Gerät gut sein sollte.
Er zog die Kugel aus dem Safe und stellte fest, dass sie ein wenig schwerer war, als sie aussah. Es war bereits kalt gewesen im Raum, als er ihn betreten hatte, aber jetzt sank die Temperatur rapide. Wie nah war die Schattendame? Vielleicht direkt vor der Tür.
Seth flitzte zum Fenster und riss die Läden auf. Diesmal war draußen vor dem Fenster kein Dach – ein Sprung hinaus hätte einen Sturz über drei Stockwerke bedeutet. Verzweifelt begann er die Knöpfe der Kugel zu drücken.
Und plötzlich war er nicht mehr allein im Raum: Ein hochgewachsener Mann mit einem Schnurrbart erschien vor ihm. Er trug ein weißes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln, graue Hosen mit Trägern und schwarze Stiefel. Er war ziemlich jung und kräftig gebaut. Seth erkannte den schnurrbärtigen Mann sofort von den Fotografien. Es war Patton Burgess.
»Du musst der jüngste Safeknacker sein, der mir je begegnet ist«, sagte Patton freundlich. Dann veränderte sich seine Miene. »Was geht hier vor?«
Die Tür zum Raum wurde aufgerissen. Die schattenhafte Gestalt schwebte über der Schwelle.
Schweißperlen traten auf Pattons Stirn, und er versuchte zuckend, sich umzudrehen. Sofort ergriff Seth seine Hand, und Patton fuhr zu der Erscheinung herum. »Hallo, Ephira.«
Die Erscheinung zuckte zurück.
»Was ist denn mit dir geschehen?« Patton wich zum Fenster zurück und hielt weiter Seths Hand fest. »Tja, ich nehme an, dunkle Magie ist noch niemandem gut bekommen.«
»Kein Vordach«, warnte Seth leise.
Patton drehte sich um und sprang auf das Sims. Dann ließ er Seths Hand los und setzte abermals zum Sprung an, aber nicht nach unten, sondern nach oben, wobei er sich in der Luft drehte, um die Dachrinne über sich zu fassen zu bekommen. Seine Beine klappten auseinander, als er sich nach oben zog. Dann streckte er Seth eine Hand hinunter. »Komm.«
Ephira glitt in den Raum, ihr Gesicht voll Zorn, und ein dunkles Band kräuselte sich auf Seth zu. Seth umklammerte mit einem Arm die Kugel und kletterte in blindem Vertrauen auf Patton auf das Fenstersims, streckte die freie Hand nach oben aus und stieß sich ab. Pattons Finger schlossen sich fest um Seths Handgelenk, und er zog ihn
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