Die Schattenplage
das Leuchten ihr nicht mehr weh. In der Hoffnung, dass die Helligkeit gutartig war, betrachtete sie die Statue nun unverhohlen: Alles um sie herum war stumpf, leer und trübselig geworden. Alle Farbe, alles Licht war auf die daumengroße Figur übergegangen.
Dann zersprang die Statue, und auf dem kleinen Podest blieb nur ein greller, eiförmiger Kieselstein zurück. Für einen Augenblick blitzte der Kiesel sogar noch heller auf, als es zuvor die Statue getan hatte. Dann strömte das Licht in den Stein zurück, bis er vollkommen unscheinbar auf dem Podest lag, mit der Ausnahme vielleicht, dass er so weiß und glatt war.
Die Farbe kehrte in die Welt zurück, und die spätnachmittägliche Sonne leuchtete wieder hell am Himmel. Kendra konnte die Anwesenheit der Feenkönigin nicht länger spüren.
Sie kniete nieder und griff nach dem glatten Kieselstein. Er fühlte sich ganz normal an, war nicht schwerer oder leichter, als sie erwartet hatte. Obwohl er nicht länger glühte, war Kendra davon überzeugt, dass dies der Talisman war. Wie konnte all die Macht, die den Schrein beschützte, in einen so kleinen, nichtssagenden Gegenstand hineinfließen?
Kendra schaute sich um und sah, dass Patton das Ruderboot wieder ans Ufer manövriert hatte. Sie eilte zu ihm hinüber, besorgt, dass die Najaden das Boot wegzerren würden, bevor sie dort ankam.
»Keine Eile«, sagte Patton. »Sie haben ihre Befehle.«
»Denen wir nur widerstrebend gehorchen«, murmelte eine Stimme unter dem Wasser.
»Pst«, tadelte sie eine andere Najade. »Wir sollen nicht reden.«
»Ich habe beim letzten Mal auch eine freie Rückfahrt bekommen«, berichtete Kendra und kletterte ins Boot.
»Gute Neuigkeiten?«, fragte er.
»Im Großen und Ganzen, ja«, antwortete Kendra. »Ich sollte besser warten, bis wir wieder im Zelt sind.«
»In Ordnung«, stimmte Patton zu. »Eines muss ich allerdings sagen – dieser Stein leuchtet fast so hell wie du.«
Kendra betrachtete den Stein. Er war makellos weiß und glatt, schien in ihren Augen aber kein Licht zu verströmen. Sie setzte sich, und Patton legte die Ruder auf seinen Schoß. Geleitet von unsichtbaren Händen, bewegte das Ruderboot sich von der Insel weg und auf das Bootshaus zu. Als Kendra aufschaute, sah sie eine goldene Eule mit einem menschlichen Gesicht von einem hohen Ast auf sie hernieder blicken. Eine Träne rollte ihr aus einem Auge.
KAPITEL 22
Licht
S eth wartete neben Lena in dem Pavillon über dem Steg. Keiner der Satyre, Dryaden oder Zwerge verweilte auf dem Bohlenweg oder in einem der anderen Pavillons. Wie Patton gebeten hatte, hielten sie sich außer Sicht.
Kendra und Patton saßen in dem Ruderboot und kehrten unbehelligt zum Bootshaus zurück, anscheinend gezogen von denselben Najaden, die sie zuvor angegriffen hatten. Seth wünschte, er hätte sehen können, was Kendra auf der Insel getrieben hatte, aber seine Schwester war die meiste Zeit von Büschen verdeckt gewesen. Lena hatte ein blendendes Licht beschrieben, doch Seth hatte es nicht sehen können.
»Das war großartig, wie Sie diesen Najaden ausgewichen sind«, bemerkte Seth.
»Ich tat das nur, um sie davon abzuhalten, meinen Mann zu ertränken«, erwiderte Lena. »Ein Teil von mir wird meine Schwestern immer lieben, aber sie können solche Nervensägen sein! Ich war dankbar für die Gelegenheit, sie ein wenig zu foppen.«
»Glauben Sie, dass Kendra Erfolg hatte?«
»Sie muss die Verbindung hergestellt haben. Einzig die Königin kann den Najaden befohlen haben, die beiden sicher zurück an Land zu bringen.« Lena kniff die Augen zusammen. »Irgendetwas hat sich an der Insel verändert. Ich kann es nicht recht benennen, aber seit dem Blitz hat dieses ganze Gebiet eine vollkommen veränderte Aura.« Mit geschürzten Lippen beobachtete Lena nachdenklich, wie das Ruderboot ins Bootshaus glitt.
Seth sprang die Stufen zum Steg hinunter und erschien gerade in dem Moment an der Tür des Bootshauses, als Kendra und Patton herauskamen. »Ist was Gutes passiert?«, fragte Seth.
»Etwas ziemlich Gutes«, bestätigte Kendra.
»Was ist das für ein Ei?«, wollte Seth wissen.
»Es ist ein Kieselstein«, korrigierte Kendra ihn und schloss die Finger fest um den kleinen Stein. »Ich werde euch alles erzählen, aber wir sollten zuerst ins Zelt gehen.«
Patton umarmte Lena. »Du warst wunderbar«, sagte er und gab ihr einen Kuss auf die Lippen. »Es gefällt mir jedoch nicht, dich so nah bei diesen Najaden zu sehen. Mir fällt kaum
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