Die Schattenplage
weiterrutschen musste. Kendra ging geduckt und hielt sich mit der freien Hand an Gesteinsvorsprüngen fest, während sie mit der anderen den Stab umklammert hielt und versuchte, möglichst keinen Lärm mit den Rasseln zu machen. Vor ihnen hörte sie das Rauschen fließenden Wassers. Es wurde stetig lauter, bis ihnen schließlich eine Schlucht mit einem reißenden Fluss am Grund den Weg abschnitt. Die einzige Möglichkeit, hinüberzugelangen, bestand darin, die vereinzelt aus dem Wasser ragenden Steinsäulen als Trittbretter zu benutzen und von einer zur nächsten zu springen, bis man das andere Ufer erreichte. Allerdings waren sie alle unterschiedlich hoch.
Warren leuchtete mit seiner Taschenlampe die drei breitesten und einladendsten an. »Tammy hat uns gewarnt, dass es sich bei diesen dreien um Fallen handelt, die sofort umstürzen, wenn man darauf tritt. Wie ihr sehen könnt, gibt es jedoch genug andere Säulen, um die Fallen zu umgehen.«
Warren wickelte ein Seil auf, reichte ein Ende Dougan und machte sich auf den Weg. Mit erstaunlicher Sicherheit sprang er von Säule zu Säule, doch trotz seiner Zuversicht blieb Kendra angespannt, bis er sicher auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht stand.
»Befestigen Sie das Seil an Kendras Geschirr!«, rief Warren.
Dougan kniete sich hin und band das Seil an die Metallschließen und Karabinerhaken ihres Geschirrs. »Hast du gesehen, wie er es gemacht hat?«
Kendra nickte.
»Denk nicht an den Abgrund«, riet Gavin und gab ihr die Taschenlampe zurück. »Ich werde deinen Regenstock so lange halten.«
Kendra gab ihm den Stab des Kojotenmannes und trat an den Rand der Schlucht. Die flache Stirnfläche der ersten Säule war nur einen kurzen Schritt entfernt. Sie versuchte, sich vorzustellen, dass sie lediglich in einem niedrigen Fluss auf einen Stein trat, und machte den ersten Schritt. Die nächste Säule war weiter entfernt – Kendra würde springen müssen, aber die Säule bot reichlich Platz, um mit beiden Füßen auf ihr zu landen. Wäre nicht die düstere Leere unter ihr gewesen, hätte Kendra keine Angst gehabt, aber sie schaffte es einfach nicht, sich zu bewegen.
»Leg eine Hand auf das Seil!«, rief Warren ihr zu. »Vergiss nicht, wenn du fällst, bin ich hier, um dich hochzuziehen.«
Kendra presste die Lippen zusammen. Wenn sie fiel, würde sie an dem Seil gegen die Wand am anderen Ende der Schlucht schmettern, wahrscheinlich nachdem sie auf dem Weg dorthin gegen mehrere Säulen geknallt war. Aber es gab ihr tatsächlich die Illusion von Sicherheit, das Seil festzuhalten. Kendra versuchte, so zu denken wie Seth, was so viel bedeutete, wie überhaupt nicht zu denken, dann sprang sie auf die nächste Säule, taumelte und richtete sich auf.
Sprung um Sprung, Schritt um Schritt schaffte sie es um die ersten zwei Säulenfallen herum. Aber um auch die letzte zu umgehen, würde sie – dem anderen Ufer schon nahe – schmale Säulen benutzen müssen, auf die gerade mal ein Fuß passte.
»Nimm sie alle direkt nacheinander, Kendra«, riet Warren ihr. »Fünf schnelle Schritte, wie bei einem schnellen Himmel-und-Hölle-Spiel. Du bist fast bei mir. Wenn du stürzt, ist es keine große Sache mehr.«
Kendra plante ihre Schritte. Warren hatte recht: Wenn sie jetzt fiel, war die Entfernung bis zur gegenüberliegenden Wand der Schlucht nicht mehr so bedrohlich. Sie nahm ein letztes Mal all ihren Mut zusammen, sprang, sprang, sprang, sprang, sprang und taumelte in Warrens ausgestreckte Arme.
Dougan, Neil und Gavin applaudierten von der anderen Seite der Schlucht. Warren band Kendra los, befestigte ein Ende des Kletterseils an seiner großen Taschenlampe und warf es über den Abgrund hinweg Dougan zu, der es auffing.
»Neil will nicht riskieren, mit seinem verletzten Bein über die Säulen zu springen!«, rief Dougan. »Er meint, er lässt sich lieber an dem Seil hängend hinüberschwingen. Ich denke, ich sollte als Nächster rüberkommen, damit ich Ihnen helfen kann, Neil zu sichern.«
»In Ordnung«, erwiderte Warren.
»Ich könnte ihn auch tragen«, warf Gavin ein, doch niemand reagierte. »Es wäre nicht viel anders als die Trainingsübungen, die mein Dad mich hat machen lassen. Ich bin stärker, als ich aussehe.«
»So oder so, ich sollte besser drüben sein, damit ich helfen kann, euch zu sichern«, sagte Dougan und befestigte das Seil um seine Hüfte.
»Wie ist Javier mit seinen verletzten Beinen hinübergekommen?«, fragte Kendra.
»Tammy hat ihn
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