Die Schattenritter: Kuss der Dunkelheit
sie attraktiv, doch er hätte sie um seiner Freiheit willen getötet, ebenso wie sie alles getan hätte, was nötig war, damit sie bekam, was sie von ihm wollte. Aber in der kurzen Zeit ihrer Beziehung war der äußere Zauber tieferen Gefühlen gewichen. Bishop schätzte ihre Ehrlichkeit. Sie hatte nichts Gekünsteltes, nichts Launisches. Wenn sie den Mund aufmachte, kam die Wahrheit heraus, ob er sie hören wollte oder nicht. Sie konnte zugeben, sich geirrt zu haben, und sich entschuldigen. Und obwohl es schwer für sie gewesen sein musste, hatte sie ihm ihr Vertrauen geschenkt. Sie hatte all ihre Gefühle beiseitegedrängt, um mit ihm gegen einen gemeinsamen Feind anzutreten.
Er wusste, dass all das geschehen war, doch rückblickend konnte er nicht sagen, wann seine Gefühle sich geänderthatten. An einem Tag wollte er sie umbringen, an einem anderen besitzen. Und jetzt würde er alles geben – sogar sein Leben –, um sie vor ihrem Schicksal zu bewahren.
Und um sich selbst davor zu bewahren, sie töten zu müssen.
War die Wirkung des Giftes erst abgeschlossen, wäre nichts mehr von ihr übrig. Sie würde eine böse, ungezähmte Kreatur sein, die nur ans Blutsaugen und an Gewalt dachte. Und seine oberste Aufgabe war, das Böse zu jagen und zu vernichten. Das wusste die Jägerin.
»Du hast noch nichts zu dir genommen«, unterbrach Molyneux seine melancholischen Gedanken. »Hast du Blut hier, oder soll ich Marcus welches holen lassen?«
Bishop drehte sich zu ihm. »Ich habe welches hier. Floarea weiß, wo es ist.« Er dankte Gott für die Haushälterin. Sie und ihr Mann hatten während des Überfalls drei Vampire und mehrere Menschen getötet. Ohne die beiden wäre alles noch weit schlimmer geworden. Und nun, nach all der Gewalt, waren die zwei noch im Haus und gingen ihrer Arbeit nach wie an einem gewöhnlichen Tag.
»Kann ich dir sonst noch etwas holen?«
»Marika braucht Nahrung.« Bishop rieb sich mit der Hand übers Gesicht. »Und Marcus und du, ihr solltet auch etwas essen. Ich bleibe solange bei ihr.«
Molyneux nickte, als verstünde er, was Bishop ungesagt ließ: Er wollte mit ihr allein sein, und sei es nur für wenige Minuten.
»Komm, Marcus – Zeit zum Abendessen!«
Der junge Mann sah von seinem Notizbuch auf, so dass sich das Lampenlicht in den kleinen Brillengläsernauf seiner perfekten Nase spiegelte. Dann nahm er die Brille ab und blickte mit leuchtend blauen Augen von dem Priester zu dem Vampir und wieder zurück. »Natürlich.«
Bishop hatte keine Ahnung, was Grey durch den Kopf gehen mochte, und es scherte ihn auch nicht. Aber sollte er Marika verärgert haben, würde dem jungen Mann als Nächstes Bishops Faust durch den Kopf gehen.
»Vielleicht«, murmelte Molyneux, so dass nur Bishop ihn hören konnte, »würdest du meinen jungen Freund lieber mögen, wenn ich dir verrate, dass er ein Nachkömmling deines Freundes Dreux ist.«
Bishop fuhr zusammen. Damit hatte er nicht gerechnet. Nein, nicht im Traum hätte er an so etwas gedacht! Kein Wunder, dass Marcus sich so brennend für Vampire interessierte – insbesondere für sie fünf!
»Weiß er, dass Dreux sich in einen Nosferatu verwandelte, als er sich das Leben nahm?«, fragte er genauso leise.
Molyneux schüttelte den Kopf. »Vielleicht könntest du es ihm erzählen. Ich glaube, er erführe sehr gern den Grund für Dreux’ Selbstmord.«
Das würde er zweifellos. »Ich sage es ihm eventuell, aber nicht jetzt.«
Der Priester lächelte wieder, und wieder war es ein geduldiges Lächeln, das Bishop eines Tages noch zur Raserei bringen würde. »Natürlich.«
»Ach, Pater Francis?«
Der Priester war bereits an der Tür und wandte sich zu Bishop um, sichtlich überrascht, dass dieser ihn beim Vornamen nannte. »Ja, Blaise?«
»Jemand sollte Marikas Vater benachrichtigen.«
Nur für den Fall.
Molyneux nickte traurig. »Selbstverständlich.«
Der Priester und sein Begleiter verließen das Zimmer. Bishop und Marika blieben schweigend zurück.
»Setzt du dich zu mir?«, fragte sie. Ihre Stimme klang leise und heiser. »Ich habe weniger Angst vor dem, was ich tun könnte, solange du in der Nähe bist.«
Ihre Bitte brach ihm das Herz. »Was denkst du denn, dass du tun könntest, kleines Halbblut?«
Sie lächelte matt. »Ich bin kein Halbblut, Bishop – nicht mehr. Ich fühle die Gewalt in mir, den Zorn. Ich will Dinge zerbrechen, Menschen. Vor fünf Minuten dachte ich daran, Mr. Grey seinen Stift ins Auge zu rammen.«
»Derselbe
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