Die Schattenritter: Kuss der Dunkelheit
»Sie mag sich ausgesucht haben, Vampire zu jagen, Mr. Grey, aber sie hat nie darum gebeten, selbst einer zu werden.«
»Sie meinen, sie hat nie darum gebeten, ein Nosferatu zu werden.«
Bishop zuckte mit den Schultern. »Das ist letztlich dasselbe.«
»Nein, ist es nicht, eigentlich gar nicht.«
Er wollte widersprechen, dem Mann vielleicht doch noch körperliche Gewalt androhen, als Molyneux, der ein Stück entfernt am Tisch saß, plötzlich aufsprang.
»Ich hab’s gefunden!« Er hielt den lateinischen Text hoch, den er gerade gelesen hatte. »Ich habe das Heilmittel gefunden!«
Bishops Buch fiel ihm aus den tauben Fingern und landetemit einem gedämpften Knall auf dem Teppich, und sein Herz wagte nicht mehr zu schlagen. »Was ist es?«
Der grauhaarige Priester kam und zeigte ihm die Seiten, auf denen Marikas Rettung in Latein beschrieben war. »Du bist es, Bishop!«
»Ich?« Er hatte keine Ahnung, wie er die Vergiftung aufhalten sollte, die sich Marikas Körper bemächtigte. Fragend sah er von dem Text zu dem Priester. »Wie?«
Der Geistliche war sehr ernst. »Du musst Marika dein Blut geben. Du musst sie zum Vampir machen.«
Er war der Einzige, der sie heilen konnte.
Grübelnd setzte Bishop sich neben sein Bett, in das er Marika eben erst gelegt hatte, damit sie schlief.
Nachdem Molyneux ihm das Geheimnis der »Heilung« enthüllt hatte, hatte er Marika in seine Arme gehoben und nach oben getragen. Marcus und der Priester benahmen sich, als wären das gute Nachrichten. Bishop indessen konnte ihnen da nicht zustimmen.
Würde Marika sein Blut nehmen? Vor Jahrhunderten hatte er es Elisabetta angeboten, und sie war lieber gestorben, als wie er zu werden, weil ihre Religion behauptete, dass es falsch war. Marika hatte gesagt, dass sie ihn nicht mehr für ein Monstrum hielt, doch blieb sie dabei, wenn sie selbst vor die Wahl gestellt würde, ein Vampir zu werden? Sie würde lieber sterben, als ein Nosferatu zu werden, und Bishop verdachte es ihr nicht. Dennoch war ein Nosferatu unter all der Wut und dem Wahnsinn immer noch ein Vampir.
Könnte sie zu dem werden, das zu hassen man sie ihr Leben lang gelehrt hatte? Zwar begriff sie inzwischen,dass nicht alle Vampire böse waren, aber es bestand ein gewaltiger Unterschied zwischen diesem Wissen und dem Willen, ein Vampir zu werden.
Sie sagte, sie liebte ihn. Das hatte Elisabetta auch gesagt. Bei dieser Entscheidung spielte Liebe keine Rolle. Sie bedeutete, ewig zu leben. Sie bedeutete, diejenigen sterben zu sehen, die man liebte. Und sie bedeutete, von jenen gehasst zu werden, die es nicht verstehen konnten. Bishop hatte schon so viel Hass in Marikas Leben gebracht. Wie konnte er sie darum bitten?
Weil er musste. Es war ihre Entscheidung. Was sie auch wählte, er müsste es akzeptieren, ganz gleich, wie schwer es ihm fiel.
Es war nicht bloß das Blut eines Vampirs, das sie heilen würde. Dazu bedurfte es des reinsten Blutes. Nur sie fünf – von anderen wusste er nicht –, die Liliths Geist in sich aufgenommen hatten, waren stark genug, um eine solche Heilung zu bewirken. Das Blut wurde mit jeder Generation schwächer, was der Grund war, weshalb in den meisten Vampir-Clans – oder Mörder-Clans, wie sie oft genannt wurden – nur den reinblütigsten erlaubt wurde, neue Gefolgsleute zu schaffen.
Und es war auch der Grund, weshalb Marika, obwohl nur ein Halbblut, sich gegen einen Vampir behaupten konnte und es so lange schaffte, sich gegen das Nosferatu-Gift zu wehren. Saints Blut machte sie stark, aber lange würde sie nicht mehr kämpfen können.
Als hätte sie seine Gegenwart und seine Gedanken gespürt, öffnete Marika die Augen. Wie riesig sie inzwischen waren! Ihre Haut spannte sich, und ihre Lippen konnten kaum mehr die Reißzähne verbergen. Es brach ihm dasHerz, ihr hübsches Gesicht so entstellt zu sehen. Angewidert konnte er dennoch nicht sein, weil er sie zu sehr liebte. Und er hatte auch keine Angst, denn lieber ließe er sich von ihr töten als von irgendjemandem sonst.
»Es gibt kein Heilmittel, oder?«, fragte sie schwach. Die Reißzähne behinderten sie beim Sprechen, und das Gift machte ihre Stimme tiefer. Sie war es, und sie war es auch nicht. Es ängstigte ihn entsetzlich, mit anzusehen, wie das Gift sie besiegte.
Er nahm ihre Hand, ihre heiße, pergamentene Hand, in seine. »Doch, es gibt eines, Liebes. Molyneux fand es.«
Ihre Augen leuchteten auf. »Was ist es?«
Zunächst zögerte er. »Du musst mein Blut trinken und zu
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