Die Schattenritter: Kuss der Dunkelheit
Gedanke kam mir auch.« Er ging zu ihr und setzte sich auf den Stuhl, auf dem bis eben Grey gesessen hatte. »Zum Glück habe ich keinen Stift, also dürfte ich in deiner Gegenwart sicher sein.«
Sie streckte ihm die Hand hin, und er ergriff sie. Ihre Haut fühlte sich warm an – zu warm. »Mir gefällt es nicht, solche Gedanken und Gefühle zu hegen.«
»Ich weiß.«
Sie spielte mit seinen Fingern und streichelte sie mit ihrem Daumen. »Wenn ich anfange, sie zu genießen, wirst du mich töten, nicht wahr?«
Bishop schluckte, aber der Kloß in seinem Hals wollte nicht verschwinden. »Wenn du anfängst, sie in die Tat umzusetzen, ja.«
»Gut«, seufzte sie erleichtert. »Ich will kein Monstrum werden, Bishop. Das lässt du doch nicht geschehen, oder?«
Er schüttelte den Kopf. Seine Kehle war wie zugeschnürt, und Tränen brannten in seinen Augen. »Nein, lasse ich nicht.«
»Danke«, sagte sie und drückte seine Hand.
»Wie kommt es, dass du so ruhig bist?«, fragte er. »Warum bist du nicht wütend? Warum kämpfst du nicht?«
Marikas bereits unnatürlich große Augen weiteten sich, und Bishop hatte Mühe, bei dem Anblick nicht das Gesicht zu verziehen. »Ich kann nicht dagegen ankämpfen, oder? Er befahl mir, zu trinken, und ich trank, weil er meinen Bruder bedrohte. Ich bin ruhig, weil ich keine Angst vor dem Tod habe und weil du das, von dem ich fürchte, dass es geschieht, nicht zulassen wirst. Und ich bin nicht wütend, mein lieber Bishop, weil Wut das Monstrum in mir nährt und du wütend genug für uns beide bist.«
Und wie wütend er war! Er wusste nicht, ob er sie töten und imstande sein könnte, den nächsten Tag zu erleben.
»Als wir uns zum ersten Mal begegneten, sagtest du, dass einer von uns sterben würde.« Sie lachte freudlos. »Ich nahm mir fest vor, es nicht zu sein.«
»Wirst du nicht.« Aber ebenso gut hätte er zur Wand sprechen können, denn sie beachtete es gar nicht.
»Zwei Dinge bereue ich«, sagte sie, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Das erste ist, dass ich Saint niemals kennenlernen werde, um mir selbst ein Bild von dem Mann zu machen, den meine Mutter liebte.«
»Du wirst den Mistkerl kennenlernen, das verspreche ich dir.«
Der Anflug eines Lächelns huschte über ihre Lippen. »Das zweite ist, dass ich nicht mehr Zeit mit dir habe. Wo ich auch hinkomme, ich werde dich vermissen, Bishop.«
Tränen fingen sich in ihren Wimpern. Sie blinzelte, aber sie kullerten dennoch über ihre Wangen. Bishop wischte sie mit seiner freien Hand fort. Es waren rosa Tränen, blutgefärbt. Bald wäre sie ganz verloren.
»Du gehst nirgends hin«, erklärte er mit belegter Stimme. »Ich werde dich nicht verlieren.«
Müde öffnete sie die Augen und lächelte ihn an. »Ich liebe dich.«
Er konnte nichts gegen die Träne tun, die ihm nun über die Wange lief. Freude, Kummer und Zorn tobten in ihm. Nicht einmal der Verlust Elisabettas hatte ihn so tief getroffen. Damals war er voller Wut und Rachsucht gewesen, hatte jedoch nicht diesen leeren, nagenden Kummer empfunden. Er hatte sich nicht gefühlt, als würde er mit ihr sterben.
»Wenn du mich liebst, dann kämpfst du besser!« Er wischte sich die Wange, worauf ihre Tränen sich ver mischten – nass, salzig und untrennbar verbunden. »Weil ich mich in eine Frau verliebte, die gegen die Sonne selbst gekämpft hätte, wenn es notwendig gewesen wäre, und ich habe nicht vor, sie gehen zu lassen.«
»Sag mir, wie ich dagegen kämpfen kann, und ich tue es!«
Zum ersten Mal seit der letzten Nacht lächelte Bishop richtig. »Lass nicht zu, dass es dich einnimmt! Wenn du den Zorn spürst, wehr dich gegen ihn. Du bist stärker als er. Du musst einfach nur durchhalten, Liebes. Wir finden das Heilmittel!« Er wollte es glauben, weil er musste.
»Das Heilmittel.«
»Ja. Und danach wirst du nie wieder gegen etwas anderes als mich kämpfen müssen.«
Lächelnd sackte sie in die Kissen zurück. »Das klingt schön.«
»Ich liebe dich«, flüsterte er.
»Ich weiß. Deshalb werde ich kämpfen.«
Er küsste sie. Ihre Lippen fühlten sich so süß und weich wie immer an, aber darunter befanden sich Zähne, die allmählich zu monströsen Reißern anschwollen. Die Frau, die mutig genug war, ihn zu lieben, wurde ihm langsam weggenommen.
Bishop betete.
»Das hat Dreux durchgemacht?«, fragte Marcus, als er viel später am Abend mit Bishop im Salon saß, Bücher wälzte und Marika im Schlaf beobachtete. Die Veränderungen waren schlimmer
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