Die Schattenritter: Kuss der Dunkelheit
Bishop gekämpft hatte, kehrten die Ereignisse der letzten Nacht zurück. Sein Gesichtsausdruck, als er sie angesehen hatte, war überrascht und zugleich ein klein wenig beeindruckt gewesen. Ja, er hatte sie attraktiv gefunden – bis sie ihn attackierte.
Sie würde das gesamte Gold des Engländers verwetten, dass er diesbezüglich inzwischen anders dachte. Zu schade, dass sie selbst nicht behaupten konnte, ihn hässlich zu finden. Er sollte hässlich sein – pervers und schauerlich wie das Böse, das er verkörperte. Zumindest sollte sie immun gegen seinen Charme sein, wenn man bedachte, wer sie war und was sie tat.
Heute Morgen hätte er sie getötet, und statt verängstigt oder wütend zu sein, war sie vollkommen von seiner Kraft fasziniert. Es war wohl zu lange her, seit sie es mit einem Gegner hatte aufnehmen müssen, der ihr überlegen war. Für gewöhnlich reichte die Tatsache, dass sie eine Frau war, um sie nachlässig zu machen und letztlich zu überlisten. Bishop hingegen ließ sich nicht dadurch schrecken, dass sie weiblich war. Er behandelte sie trotzdem wie eine ernste Bedrohung.
Und so merkwürdig es sein mochte, ihr gefiel, dass er sie nicht unterschätzte.
»Ich hab’s!«
Mit einem stolzen Grinsen kam Roxana durch das Gras und über den Weg gehüpft. Das Sonnenlicht wurde von der Goldkette reflektiert, die an ihrer Hand baumelte.
Marika nahm sie und umarmte Roxana. »Ich danke dir! Ich dachte schon, sie sei endgültig weg.«
Blinzelnd zeigte Roxana auf einen Punkt oberhalb Marikas Schulter. »Was ist das da drüben?«
Marika drehte sich um und sah die Ruinen von zwei gemauerten Schornsteinen nebst denen eines alten Hauses. Es konnte doch kein Zufall sein, dass diese Ruine sich an genau der Stelle befand, an der sie auf Bishop gestoßen waren, oder? Vielleicht verbarg er sich tagsüber dort. Und das würde bedeuten, dass sie in der Ruine etwas finden könnte, das sie gegen ihn benutzen konnte und das ihr wiederum half, Saint zu finden.
Grinsend sah sie Roxana an. »Wollen wir es uns einmal ansehen?« Das sollte sie nicht. Die Sonne würde zunehmend schwerer zu ertragen sein. Dennoch wollte sie sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, etwas genauer nachzusehen– erst recht nicht, wenn sie dort vielleicht Hinweise auf den Mord an ihrer Mutter entdeckte.
Roxana antwortete nicht, sondern lief einfach in Richtung Ruinen.
Lachend folgte Marika ihr. Immerhin war sie nicht minder begeisterungsfähig als die deutlich jüngere Frau.
Sollte sie eine Gefahr für das Mädchen vermuten, würde sie Roxana natürlich nie einfach auf diese Ruinen zulaufen lassen. Aber Vampire teilten sich selten ihre Unterschlüpfe, womit geradezu ausgeschlossen war, dass sie über irgendetwas stolperten, das ihnen gefährlich werden konnte. Und falls doch, würde das Tageslicht einer solchen Bedrohung sehr schnell den Garaus machen.
Da waren Fußabdrücke in der Asche um ein altes Lagerfeuer herum, aber sie waren auch schon das Frischeste, was sie in der Ruine entdeckten. Ansonsten war hier in letzter Zeit nichts verändert worden. Es gab einen Zugang zum alten Keller, doch dieser war vor Jahren bereits eingestürzt und nicht wieder freigelegt worden. Sollte sich irgendetwas da durchgegraben haben, hatte es keinerlei Spuren hinterlassen.
Marika trat mit einem Fuß in einen der Abdrücke in der Asche. Wer immer hier herumgegangen war, musste große Füße gehabt haben, mit denen er große Schritte vollführte. Ein Mann, der sich seiner Kraft auf arrogante Weise bewusst war.
Nein, diese Fußspuren stammten gar nicht von einem Mann. Es waren Bishops. Das wusste sie so sicher, wie sie wusste, dass sie atmete.
Wenn das hier aber nicht Bishops Versteck war, was hatte er dann hier gewollt? Er hatte sicher keinen harmlosenSpaziergang unternommen, und auf der Jagd konnte er in dieser gottverlassenen Gegend erst recht nicht gewesen sein. Hatte er jemanden getroffen? Einen anderen Vampir? Saint?
Nein, da waren keine Spuren von einem anderen. Wäre Saint hier gewesen, würde sie es merken, dessen war sie sich gewiss. Seine Gegenwart könnte sie spüren, so schmerzlich wie einen Messerstich in ihren Rücken.
Sie blickte sich um und blinzelte dabei im hellen Sonnenlicht. Nun begann das leichte Pochen in ihrem Schädel. Hier musste etwas sein …
Da!
Im Wald.
Roxana folgte ihr dicht auf den Fersen, als Marika zielstrebig durch das hohe Gras schritt. Hier und dort waren die langen Halme heruntergetreten, als wäre erst
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