Die Schattenritter: Kuss der Dunkelheit
den Klang ihrer Schritte zu merken, oder sie hatte ihre Hütte besser gegen Geräusche gedämmt, als sie dachte. Auf dem Fußboden lagen dicke Teppiche, vor den Fenstern hingen schwere Vorhänge, und Marika hatte gelernt, sich leise wie eine Katze zu bewegen – was ihr mehr als einmal das Leben gerettet hatte.
Drinnen sprach oder sang sie niemals. Überhaupt tat sie in ihrer Hütte nichts außer schlafen oder baden. Die Mahlzeiten nahm sie meist bei Dimitru und seiner Familie ein, gelegentlich auch bei ihrer Großmutter. Marika kochte ausgesprochen ungern, und für nur
eine
Person zu kochen, war ihr erst recht zuwider. Manchmal las sie noch im Bett, aber selbst das verkniff sie sich normalerweise, weil sie fürchtete, sich dabei durch ein Geräusch zu verraten.
Allmählich jedoch wurde sie es leid, stets vorsichtig zu sein, und der Vampir in ihrem Keller verstärkte ihren Überdruss noch.
Tage waren vergangen, seit er Blut von ihr gefordert hatte. Inzwischen war er beinahe eine volle Woche bei ihr und hatte sich seit der Gefangennahme unübersehbar verändert. Mit jedem Tag war er rastloser, unleidlicher geworden.
Mittlerweile ähnelte er mehr einem Tier als einem Mann. Eine solche Veränderung hatte Marika noch bei keinem Vampir beobachtet. Eigentlich sollte er lethargisch und geschwächt vom Fasten sein. Blut hielt Vampire bei Kräften, folglich müsste auch Bishops Kraft durch die ausbleibende Stärkung abnehmen. Das jedenfalls schloss sie aus dem, was sie bei ihren Nachforschungen über Vampire gelernt hatte, was all die Bücher und Geschichten behaupteten. Auf Bishop traf nichts davon zu. Vielmehr schien er stärker, mächtiger zu werden, so dass sie Angst hatte, er könnte seine Ketten sprengen.
Wenn das passierte, waren sie und ihre Leute tot. Sie bildete sich nicht ein, ihn überwältigen zu können – nicht allein. Unter normalen Umständen brauchte sie schon ihre Männer und Armitages Gift, um ihn zu bändigen, und jetzt könnten sie ihn eventuell vernichten, sollte er einen Fluchtversuch unternehmen, aber zuvor würde er so viele von ihnen umbringen, wie er nur konnte.
Die Lage wurde nicht gerade besser dadurch, dass etwas in seinen Augen sie auf beklemmende Weise ansprach. Sie hielt es kaum aus, ihn anzusehen, weil sie es jedes Mal aufs Neue erblickte. Es war, als wüsste er, dass alles verloren war – wie ein eingesperrter Tiger, dem ein Kind in den Käfig zu stürzen drohte. Bishop wollte sie vielleicht nicht töten, aber er würde.
Und so hartnäckig sie sich auch weigerte, Mitgefühl für ihn zu empfinden, war da doch die kleine Stimme in ihrem Kopf, die bezweifelte, dass er ein skrupelloser Mörder war wie Saint. Das bedeutete keineswegs, dass Bishop unschuldig war – das nämlich war bei einem Vampir gänzlich ausgeschlossen.
In jüngster Zeit dachte sie immer daran, wie er in der Nacht ihrer ersten Begegnung ausgesehen hatte – als sie gekämpft und Marika das Prickeln erlebt hatte, einen wahren Gegner zu haben. Kurz waren Zweifel aufgeflackert, und für einen Sekundenbruchteil hatte sie sich gefragt, ob sie tatsächlich gewinnen könnte. So etwas hatte sie höchst selten gedacht, würde es fortan allerdings wieder denken. Den arroganten Glauben an ihre Fähigkeiten hatte Bishop ihr ein für alle Male ausgetrieben.
Wäre sie ihm allein gegenübergetreten, hätte er sie mühelos besiegt, und das nicht bloß, weil er ein Vollblut war, sondern weil er schneller und stärker als alle Vampire war, die sie je gesehen hatte.
Nicht dass er sie beeindruckt hatte – nein, das war sie keinesfalls. Sie erkannte schlicht den überlegenen Gegner, dessen Fähigkeiten wie Fertigkeiten ihr noch nicht hinlänglich vertraut waren. An diesem Punkt musste sie dringend arbeiten, um sich entsprechend wappnen zu können.
Deshalb durfte sie nicht über die klaren Linien seines Mundes, seine großen Augen oder sein weiches Haar nachdenken. Ihn als Mann zu sehen war um ein Vielfaches gefährlicher, als ihn von seinen Fesseln zu befreien.
Morgen sollte sie den Engländer Armitage wiedertreffen. Und das hieß, dass sie eigentlich schon jetzt wissen müsste, wo sie Saint fand. Stattdessen hatte sie nichts erreicht, außer dass Bishop zusehends feindseliger wurde und vehementer darauf bestand, dass sie etwas über das Verschwinden von jemandem namens Nycen wüsste. Offenbar gab es noch andere, von denen er gleichfalls annahm, dass sie etwas über sie wüsste – Kreaturen, vonderen Existenz sie nicht einmal
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