Die Schattenritter: Kuss der Dunkelheit
ihrem Vater stand, und selbstverständlich wusste sie auch, dass Marikas Wut ihre Neugier überwiegen würde. Wie immer.
»Hat er?« Wahrscheinlicher war, dass
Bunica
ihm unaufgefordert von Marika erzählt hatte. Ihren Vater nämlich interessierte weder, wo Marika war, noch, was mit ihrgeschah. Das hatte es noch nie. Für ihn war sie die personifizierte Erinnerung an das Monstrum, das seine geliebte Frau getötet hatte. Als Kind hatte Marika gebetet, dass er sie lieben könnte. Heute war er für sie bloß noch ein Mann, den sie kaum kannte.
»Seine Frau bekam erst letzten Monat ein Kind.«
Marika verkrampfte sich innerlich. »Ist es ein Sohn?«
Ihre Großmutter nickte unsicher.
»Na, dann hat er ja endlich seinen Erben, einen, der vollkommen menschlich ist und auch noch das richtige Geschlecht hat.«
»Marika!« Das war kein Tadel, sondern pures Mitgefühl.
»Nein, es macht mir nichts.« Es war eine alte Wunde, die nicht mehr weh tun sollte, aber sie tat es. »Ich hoffe, er ist jetzt glücklich.«
Vielleicht würde er nun, da er seinen kostbaren Sohn hatte, bald sterben, denn das war es, was Marika sich eigentlich wünschte. Erst wenn er tot war, könnte sie aufhören, daran zu denken, wie enttäuscht er von ihr war und wie sehr er sich ihrer schämte.
Oder aber er könnte von einem Vampir verwandelt werden, so dass sie einen Vorwand hatte, ihm einen Pfahl durch sein gefühlloses finsteres Herz zu treiben. Wie Unrat hatte er sie beiseitegeworfen, und jedes Mal, wenn sie einen Vampir tötete, dachte sie dabei an ihn und dass er sie im Grunde anerkennen sollte.
Der Schuft! Für jemanden, der in ihrem Leben quasi nicht vorkam, spielte er darin eine verdammt große Rolle.
Ihr musste anzusehen gewesen sein, was in ihr vorging, denn ihre Großmutter schien geradezu ängstlich.
»Dein Gesicht macht mir Angst, wenn es das tut.«
Das
war eine winzige Veränderung ihrer Züge, ein unnatürliches Leuchten in ihren Augen. So reagierte der Vampir in ihr auf tiefe Gefühle.
Marika blickte sofort auf ihre Füße und bemühte sich, ruhiger zu werden. »Entschuldige!«
»Entschuldige dich nicht für das, was du fühlst, mein Kind. Denk gar nicht an ihn! Er ist es nicht wert.«
Ich würde ja aufhören, an ihn zu denken, wenn du aufhören würdest, über ihn zu reden!
Diesen Gedanken behielt Marika selbstverständlich für sich. Ihre Großmutter schien zu glauben, ihre Enkelin hätte ein Recht darauf, über das Leben ihres Vaters Bescheid zu wissen, aber sie hasste es, mit anzusehen, wie traurig es Marika machte.
»Bunica«
, fragte sie und hob den Kopf, »bin ich ein Monstrum?« Ihr Vater war der Erste gewesen, der sie so genannt hatte, und Bishop der Einzige andere, der es ihr auf den Kopf zusagte. Niemand sonst wusste, was sie war – niemand außer ihrer Großmutter.
Die sah plötzlich aus, als fiele sie gleichsam in sich zusammen. »Ach, mein liebes Kind, nein, natürlich nicht!« Sie breitete die Arme aus, und Marika ging sofort zu ihr, kniete sich vor ihre Großmutter und schmiegte sich in deren Umarmung. Dann lehnte sie das Gesicht an die alte Schulter und schluchzte hemmungslos.
Kapitel 4
Wenn es etwas gab, das Marika noch mehr verachtete als Vampire, dann war es, Fehler zu machen.
Als sie am Fuß des Bettes vor dem Kamin saß und sich von den Flammen das Haar trocknen ließ, fürchtete sie ernsthaft, einen Fehler zu begehen, indem sie Bishop kein Blut gab.
Allein in ihrer kleinen Hütte, kam sie frisch aus einem lauwarmen Bad. Es war spät, und sie trug ein Nachthemd, das sie von ihrer Großmutter geschenkt bekommen hatte. Es war weich und so züchtig geschnitten, dass Marika unten fast dreißig Zentimeter wegschneiden musste, damit sie sich darin ungehindert bewegen konnte, sollte ihr Dorf überraschend nachts angegriffen werden.
Ihr Dorf. Ihr Zuhause und ihr ganzer Stolz. Es bestand eigentlich nur aus wenigen Häusern mit einer schmalen Straße in der Mitte, und im Moment war alles still. Alle lagen sicher in ihren Betten, wo sie auch hingehörten. Natürlichwaren da die üblichen Nachtgeräusche: das Knacken von Herdfeuern, die nächtlichen Raubtiere auf Beutezug und das sanfte Schnauben der Pferde in den Ställen, aber nirgends waren Stimmen zu hören. Und unter ihr muckste sich gar nichts.
Wüsste Bishop, dass er in ihrem Keller gefangen gehalten wurde, würde er zweifellos alles versuchen, um sie möglichst am Schlafen zu hindern. Aber entweder hatte er sich keine Mühe gegeben, sich
Weitere Kostenlose Bücher