Die Schattenritter: Kuss der Dunkelheit
so zu leben. Und das machte sie keineswegs zu einem Monstrum. Vielmehr machte es sie … gnädig.
Sie band ihr Pferd am Zaun an, wo es grasen konnte, und klopfte an die Tür. Dies war nicht mehr ihr Zuhause, und was ihre Großmutter auch sagte, sie würde niemalsunaufgefordert hineingehen. Außerdem hoffte sie inständig, dass die Tür von innen verriegelt war, wozu sie ihre Großmutter gedrängt hatte.
Marika hörte, wie sich innen schlurfende Schritte näherten. Ihre Großmutter war eben nicht mehr die Jüngste, und ihr hartes Leben hatte sie erst recht schnell altern lassen. »Wer ist da?«, rief eine klare kräftige Stimme in melodischem Rumänisch.
Marika lächelte wie jedes Mal, wenn sie diese Stimme vernahm. Und sie war froh, dass Irina ihrer Bitte folgte und nachfragte, ehe sie die Tür aufriss. »Marika,
Bunica!
«
Nun hörte sie, wie innen der Riegel zur Seite geschoben wurde, dann ging die Tür auf. Bevor sie etwas sagen konnte, wurde Marika von zwei starken Armen umfangen und mit der Wange an das graue Haar gedrückt, das nach süßlichem Gebäck duftete.
»Papanase prajiti!«
, seufzte Marika geradezu, denn sie liebte die kleinen rosinengefüllten und mit Zucker bestreuten Teigbällchen.
»Da«
, bestätigte ihre Großmutter und ließ Marika los. »Ich hatte so ein Gefühl, dass du heute kommst.«
Sie saßen im vorderen Zimmer, in dem sich seit Marikas Kindheit kaum etwas verändert hatte. Das Mobiliar war eher grob und wuchtig, die Vorhänge in einem satten Blau. Hier tranken sie starken Kaffee zu ihrem Gebäck und plauderten über alles Mögliche. Eine halbe Stunde oder mehr verging, bis ihre Großmutter schließlich fragte: »Nun, mein Kind, dann einmal heraus damit! Warum bist du gekommen?«
Marika schluckte ihr letztes Gebäckstück hinunter.»Ich habe vorletzte Nacht einen Vampir gefangen genommen.«
Ihre Großmutter schüttelte den Kopf und murmelte etwas vor sich hin. Was es war, wollte Marika gar nicht wissen, denn ihre Großmutter hieß nicht gut, was sie tat. Sie hätte Marika am liebsten schon vor Jahren verheiratet und hatte ihr sogar schon den passenden Bräutigam ausgesucht. Womöglich wäre es auch dazu gekommen, hätte sich dessen Vater nicht als Vampir aus dem Grab erhoben. Wobei »erhoben« wohl nicht der richtige Ausdruck war, denn er hatte sich mit bloßen Händen durch die Erde nach oben gewühlt, wo er als verdreckte und vor Blutdurst halb wahnsinnige Kreatur angekommen war.
Natürlich verkraften es die wenigsten Männer, wenn ihre Verlobte den Vater vor ihren Augen pfählt, und Grigore bildete keine Ausnahme. Er hatte die Hochzeit abgeblasen, obwohl Marika verhindert hatte, dass sein Vater ihn zum Frühstück verspeiste.
»Er ist ein Freund des Vampirs, der Mama umgebracht hat.«
Die alte Frau erstarrte, bevor sie eine sichtbar zitternde Hand an ihren Mund hob. Ihr Entsetzen war fast mit Händen zu greifen, und Marika konnte nicht umhin, es teils mitzuempfinden.
»Marika, warum jagst du diese Geister?«
»Weil die Kreatur, die meine Mutter umbrachte, für das bezahlen muss, was sie ihr antat – was sie
mir
antat!«
Ihre Großmutter schüttelte den Kopf, und ihr faltiges Gesicht war blass und sorgenvoll. »Deine Mutter würde das nicht wollen.«
»Du glaubst nicht, dass sie ihren Mörder seiner gerechtenStrafe zugeführt sehen will?« Allein der Gedanke machte Marika schon wütend.
»Nein, vor allem nicht von dir.«
Was für eine wunderliche Bemerkung! »Was meinst du damit?«
Ihre Großmutter überlegte eine Weile, als müsste sie sich und ihre Gedanken sammeln. »Mir gefällt nicht, wie viel Gewalt in deinem Leben herrscht. Ich möchte dich nicht genauso verlieren wie deine Mutter.«
Schlagartig wurde Marika mulmig, was ihre Großmutter wohl auch bezweckt hatte. Sie sprachen nie über den Tod ihrer Mutter. Wann immer das Thema aufkam, wich ihre Großmutter ihr aus. Warum? War es zu schmerzlich für sie? Oder wusste ihre
Bunica
Dinge, die sie Marika nicht sagen wollte oder konnte?
»Du wirst mich nicht verlieren.« Noch während sie die Worte aussprach, dachte sie daran, wie nahe sie dem Tod in der Nacht gewesen war, als Bishop ihr zu entkommen versucht hatte. War es fair von ihr, ihr Leben zu riskieren, obwohl ihre Großmutter bereits so viele ihr teure Menschen verloren hatte?
»Vor ein paar Tagen besuchte mich dein Vater. Er hat nach dir gefragt.«
Und wieder wechselte ihre Großmutter das Thema, um Marika abzulenken. Sie wusste, wie ihre Enkelin zu
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