Die Schattenseherin: Roman (German Edition)
Cale hatte ganz andere Sorgen. Die Engel. Die fehlende Kraft.
› Geh nach Hause und ruf dir endlich eine Nutte‹ , brummte Caes, › oder schreite da ein, rette die Kleine und spar dir das Geld für die Bordsteinschwalbe.‹
Cale runzelte die Stirn, aber dann erkannte er, was der Dämon meinte. Die beiden Schläger droschen nicht auf einen Mann ein, sondern auf ein dürres Mädchen. Sie hatte sich eingerollt und die Arme schützend über ihren Kopf gelegt, aber Cale hörte keinen Laut von ihr. Sie schrie nicht oder weinte, sie rief auch nicht um Hilfe. Sie ertrug einfach nur stumm die Schläge und Tritte.
Er versuchte, sich aufzurichten, und lief auf die beiden Männer zu. Auch wenn jeder seiner Muskeln aufzuschreien schien, rannte er und hoffte, dass ihn die beiden Männer nicht bemerkten. Cale war in einer Zeit geboren worden, in der Männer Frauen ungefragt die Tür aufhielten und in der Emanzipation nichts weiter als ein seltsames Wort im Lexikon gewesen war. So behandelte man keine Frau!
Er packte die Schultern des kleineren Mannes und riss ihn zurück, noch bevor der ihn bemerkt hatte. Der Schwung riss ihn von den Füßen, und Cale trat zurück, um ihn ungehindert auf den Rücken fallen zu lassen. Er trat mit dem Stiefel gegen die Schläfe des Kerls, um ihn außer Gefecht zu setzen, und sah dadurch den Schlag des anderen Mannes nicht kommen. Er traf ihn am Kinn – Cale fühlte, wie die Knöchel an seinem Kiefer abglitten, aber der Schlag hatte noch genug Kraft in sich, um ihn Sterne sehen zu lassen. Blut schoss in seinen Mundwinkel, und er schmeckte den metallischen Geschmack auf seiner Zunge. Der Schmerz lenkte ihn ab, und er war dem zweiten Schlag hilflos ausgeliefert. Er traf ihn diesmal im Gesicht, und mit einem feuchten Knacken brach die Nase.
Caes heulte auf, und diesmal ließ Cale ihn einfach los. Es war sein Glück, denn Caes duckte sich, bevor der dritte Schlag ihn vollständig ausschalten konnte. Der Dämon nutzte die geduckte Position und sprang vor, riss den größeren Mann mit seinem Körpergewicht einfach von den Füßen. Gemeinsam fielen sie auf den Boden, rollten und fielen übereinander und keuchten, in dem Bemühen, sich gegenseitig die Hände um die Kehle zu legen. Trotz Caes’ Wut konnte Cale nicht die Oberhand gewinnen. Er lag auf dem Rücken, und der Mann hockte rittlings auf ihm, die grobschlächtigen Hände mit den schmutzigen Nägeln fest um Cales Hals gelegt. Vor Cales Augen tanzten rote Schleier, und er keuchte. Hilflos grub er seine eigenen Finger in die Handgelenke des Kerls, aber ebenso gut hätte er einfach mit einem Wollknäuel zuschlagen können – es brachte nichts.
Cale wurde es zu viel: Er packte mit seinen Händen fester zu und ließ Caes’ Magie durch seine Hände in seinen Angreifer fließen. Dessen Augen wurden groß. Sein Griff lockerte sich, und er stöhnte rau auf. Cale spürte mit einem Mal etwas Heißes, das sich gegen ihn drückte, und registrierte die Erektion des Mannes. Er schob ihn rasch von sich herunter, während der Kerl sich am Boden wand, als hätte er die Welt um sich herum vergessen.
› Was war das denn?!‹ , heulte Caes fassungslos.
»Mir blieb keine andere Wahl«, erwiderte Cale, während er sich hastig aufrappelte. Der kleinere Mann lag noch immer bewusstlos am Boden, während der zweite Angreifer sich noch immer hin und her wälzte und seine Hände massierend in seinen Schritt drückte. Das Gesicht war lustvoll verzogen, und auf der Vorderseite der verdreckten Jeans hatte sich ein feuchter Fleck gebildet. Der Schritt der Hose war noch immer ausgebeult, und der Mann stöhnte wollüstig auf.
Cale spürte Caes’ Abscheu bei diesem Anblick nur zu deutlich. › Du hast mich missbraucht! Für einen Mann!‹ , gab er empört von sich.
Cale massierte seinen wunden Hals. ›Beruhig dich, du alter Homophobiker‹, erwiderte er und sah sich um.
Das Mädchen hockte zusammengekauert an der Mauer und betrachtete die drei Männer mit einem erschreckend ruhigen Gesichtsausdruck. Sie stand erstaunlich geschmeidig auf und kam auf Cale zu.
Der schätzte immer automatisch das Alter einer Frau ein, und diese hier war höchstens vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Sie war dünn; den Babyspeck der Kindheit hatte sie schon verloren, aber ihr fehlten noch die Rundungen einer erwachsenen Frau. Etwas Schlaksiges haftete ihrer Gestalt an, aber ihre Bewegungen waren weich und geübt. Das Haar wirkte nahezu farblos, ein einfaches Straßenköterblond und ebenso
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