Die Schattenseherin: Roman (German Edition)

Brunnen glatt wie Eis, und Cale fand einfach keine Möglichkeit, hinaufzukommen. Aus Verzweiflung und Ungeduld machte er einen Sprung nach oben, dem Rand entgegen – und hockte plötzlich auf diesem. Verdutzt sah Cale hinter sich; er hatte, mit nur einem Sprung, nahezu fünf Meter hinter sich gebracht!
    Er fühlte sich mit einem Mal stärker als jemals zuvor in seinem Leben. Wenn das wirklich die Auswirkungen des Dämons in ihm waren, konnte er nicht verstehen, was daran schlimm sein sollte. Er rannte nach Hause, lief, ohne zu achten, über Steine und Löcher im Weg, sprang leichtfüßig über umgekippte Baumstämme. Kurz darauf hatte er sein Haus wieder erreicht und kam mit einem harten Stopp zum Stehen. Die Angst kehrte zurück. Was würde er in der niedrigen Hütte vorfinden? Was war mit Eloise?
    Am Fenster brannte eine Kerze, und dahinter konnte er Bewegungen ausmachen. Mit klammen Fingern ging Cale zur Tür und griff nach der Klinke, doch bevor er sie herunterdrücken konnte, wurde sie von innen aufgezogen. Zoe sah nun, was sie vorher nur hatte ahnen können – Eloises Gesicht war voller Leben, die Haut glänzte mit leicht bronzefarbenem Schimmer, und die Augen strahlten. Sie konnte verstehen, warum Cale sie so sehr liebte, dass er freiwillig den Pakt mit einem Dämon einging.
    Ohne ein Wort trat die junge Frau auf Cale zu und legte ihre Arme um seinen Nacken. Cale verharrte atemlos und ungläubig in ihrer Umarmung, unfähig, sich selbst zu rühren. Erst als Eloise ihn küsste, wurde ihm bewusst, dass es wirklich passiert war: Eloise war gesund. Nicht ein winziges Anzeichen ihrer Krankheit war mehr zu sehen.
    Er stieß einen Laut – halb Lachen, halb Schrei – aus, packte Eloise und trug sie, die ebenso laut lachte, einfach ins Haus. Zoe kam sich vor wie ein Eindringling, als sie mit ansah, wie Cale seine Frau zum Bett trug und ihren Körper berührte. Gierig, ungestüm und ein wenig ungeschickt. Diese Berührungen passten nicht zu dem Mann, dem sie in ihren Träumen begegnet war, aber wenn das hier wirklich passiert war, war es lange her. Eloise störte sich nicht daran, sie lag zufrieden in Cales Umarmung, küsste und berührte ihn ebenso und ließ zu, dass er ihr mit zitternden Fingern das Leinenhemd auszog.
    Zoe wollte diese Vision beenden. Sie wollte nicht sehen, wie Cale eine andere Frau küsste, wie er sie zum Stöhnen brachte. Doch so sehr sie auch versuchte, aufzuwachen, oder sich darauf konzentrierte, wenigstens diese Bilder zu vertreiben – nichts half. Sie musste weiter zusehen, und jede Sekunde davon wurde ihre Eifersucht stärker. Am liebsten hätte sie Cale von Eloise weggezerrt, hätte ihn mit sich gezogen und irgendwohin gebracht, wo er niemals mehr eine andere Frau ansehen konnte. Der Gedanke war ebenso lächerlich wie erschreckend und brachte Zoe schließlich dazu, ein wenig ruhiger zu werden. Was für ein Mensch dachte daran, einen anderen einzusperren, nur um ihn für sich zu haben? Sie sicher nicht.
    Cale spürte von all dem nichts. Seine Haut war mittlerweile schweißfeucht, und er lag zwischen den Schenkeln seiner Frau, die sich an ihn klammerte und wieder und wieder seinen Namen keuchte. Jeder Moment war für Zoe eine Qual, aber sie versuchte, sich unter Kontrolle zu halten und sich auf Cale zu konzentrieren. Sie spürte deutlich, dass er nicht mehr weit vom Höhepunkt entfernt war. Seine Lust steigerte sich unaufhörlich und würde sich bald einen Weg bahnen, aber Zoe beschlich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Eloises Keuchen wurde lauter, steigerte sich zum Stöhnen, doch ihre Stimme klang schriller als noch zuvor. Ihre Finger kratzten nicht mehr zärtlich über seinen Rücken, sie kratzten darüber, rissen an der Haut.
    Noch in seiner Lust gefangen, bemerkte Cale es nicht. Er stieß weiter in Eloise, gab sich seiner eigenen Lust hin und schrie befreit auf, als er seinen Höhepunkt erreichte. Er verharrte für einige Momente in seiner Position und beugte sich dann zu Eloise, um sie auf die Stirn zu küssen. Nicht nur Zoe bemerkte, wie eiskalt die Haut unter Cales Lippen war. Hastig zog er sich zurück und sah Eloise ins Gesicht. Sie hatte die Augen geschlossen und wirkte fast, als würde sie schlafen. Doch ihre Lippen waren schneeweiß, ebenso wie der Rest ihres Körpers. Sie war kalt und vollkommen leblos.
    Fassungslos starrte Cale seine Frau an. Dann stieß er gegen ihre Schulter, versuchte sie, irgendwie aufzuwecken. Sicherlich war sie nur noch geschwächt, und ihr