Die Schattenseherin: Roman (German Edition)
› Sie saugt ihr das Leben aus – fühlst du es nicht?‹
Cale schüttelte den Kopf; er wusste nur, dass Zoe schwächer wurde. Ohne weiter nachzudenken, griff er nach dem Kiel und versuchte, die Feder mit einem Ruck herauszuziehen. Es gelang ihm, den sichtbaren Teil aus der Wunde zu entfernen. Doch er war sich nicht ganz sicher, ob unter der Haut noch die Reste des Kiels feststeckten. Zoe stöhnte auf, und ihre Finger klammerten sich schmerzhaft in seine Brust. Cale wollte sie nicht weiter quälen. »Es ist vorbei«, beruhigte er sie, obwohl er ahnte, dass es das noch lange nicht war.
Es war noch immer Nacht, als Zoe die Augen aufschlug. Hinter dem Fenster konnte sie deutlich das Licht der Straßenlaterne erkennen. Sie lag in einem weichen Bett, die Daunendecke bis zum Hals hochgezogen. Als sie sie anhob, sah sie einen Verband um ihren Brustkorb. Bis auf ihn und ihren Slip war sie nackt. Wie war sie hierhergekommen? Und wer hatte sie ausgezogen?« Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war Dumas, der sie bedrohte, und dann ... Cale?
Sie fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht und sah auf. Er stand vor dem Bett, die Hände locker in die Taschen seiner Jeans gesteckt. Sein Gesicht war glatt, und ohne die rauen Stoppeln konnte sie deutlich die feine Linie seines Kiefers und die scharf geschnittenen Wangenknochen erkennen. Sein Mund mit dem verführerischen Schwung und dem kleinen Grübchen auf der Oberlippe verzog sich zu einem Lächeln. »Ich bin froh, dass du wach bist.«
Zoe starrte ihn nur an, als ihr alles wieder einfiel. Dumas, der Schuss, der Fall, ihre Verletzung ... aber was war dann passiert?
»Hast du mich verbunden?«, fragte sie, weil ihr nichts Besseres einfiel.
»Ja. Du hast zwar nicht stark geblutet, aber ich wollte kein Risiko eingehen.« Er fuhr sich nervös durch die Haare und strich die halblangen Strähnen zurück.
Sie setzte sich, die Decke vor der Brust, auf. Es war seltsam, Cale zum ersten Mal wirklich ansehen zu können. Er hatte so viel von dem Mann aus ihren Träumen und war ihr doch so fremd. Dennoch hatte sie ihm geholfen – es war ein Impuls gewesen. Als die beiden Männer aus ihrer Wohnung gelaufen waren, hatte sie die Glock genommen, die Adrian ihr damals geschenkt hatte, und war ihnen nachgelaufen. Sie hatte gar keine andere Wahl gehabt.
Cale schloss die Augen, als würde er auf etwas lauschen. »Fühlst du dich noch immer schwach?«
Zoe nickte. »Liegt aber wahrscheinlich daran, dass ich geschlafen habe.«
»Ja – du warst immerhin einen ganzen Tag im Tiefschlaf.«
»Dumas hat mich verletzt, oder? Womit?«
»Dumas heißt er also?«, erwiderte Cale nachdenklich. Zoe nickte. Er brummte leise. »Er war anscheinend nicht sonderlich glücklich darüber, dass du mir geholfen hast zu fliehen. Er hat dich mit einer seiner Federn getroffen – wir ... ich habe noch nicht genau herausgefunden, warum sie dich so sehr schwächt, aber ich hoffe, der Effekt verfliegt jetzt langsam.«
Zoe runzelte die Stirn. »Warum wolltest du ›wir‹ sagen?«
Er winkte ab und setzte sich in sittsame0 Abstand zu ihr auf die Bettkante. Zoe wusste nicht, ob sie das amüsierte oder nicht. Immerhin hatten ihre bisherigen Treffen nur einem Zweck gedient. Und der hatte dafür gesorgt, dass sie meist sehr schnell ihre Kleidung und auch jede Hemmungen verloren. »Das tut nichts zur Sache«, erwiderte er ernst. »Erklär mir lieber etwas anderes: Was hast du mit diesem Engel zu schaffen?«
Sie suchte nach Worten, um zu erklären, wie sie auf Dumas gestoßen war, aber wenn sie ehrlich zu sich selbst war, erschien ihr das Ganze rückblickend so verwirrend, dass es ihr schwerfiel, alles richtig wiederzugeben. Erst brauchte sie selbst Antworten. »Er hat mich getäuscht. Glaube ich zumindest. Sag du mir lieber, warum du zugelassen hast, dass Adrian getötet wurde?«
Cale sah wirklich betroffen aus. »Ich wusste nicht einmal, dass er in Gefahr war. Aber wenn ich es gewusst hätte, hätte ich ihn geschützt.« Sein Blick wurde bitter. »Ich hätte es zumindest versucht. Auch wenn ich im Moment nicht sehr gut darin bin – Neil habe ich ebenfalls nicht beschützen können.«
Zoe erinnerte sich an diesen Namen. Sie hatte ihn gehört, als sie das Blut am Amulett gekostet hatte. »Aber da war kein Tod gewesen«, entschlüpfte es ihr, und Cale hob ruckartig den Kopf.
»Was? Woher weißt du das?«
»Ich habe ein schwarzes Amulett in deiner Wohnung gefunden, und das Blut darauf ...« Sie brachte den Satz
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