Die Schattensurfer (German Edition)
Sansibar zu: „Das sagt meine Mutter auch immer. Wenn sie putzt, muss sie nicht so viel denken. Da gibt sie die Hälfte ihrer Gedanken an RUHL ab. Alle haben etwas davon.“
Sansibar zuckte bei dem Wort Mutter und hatte wieder das Bild ihrer Mama mit dem orangefarbenen T-Shirt und der lilafarbenen Blume vor sich, damals, als sie selbst erst vier Jahre alt gewesen war.
Sansibar schnippte mit den Fingern und wartete diesmal bis Doktor Tornham sie aufrief: „Was passiert eigentlich mit unseren Gedanken?“
„Sehr gute Frage“, lobte Doktor Tornham und ließ ein Hologramm auf der Tafel aufleuchten. Ein birnenförmiges Ding. Es pumpte sich auf und zog sich dann wieder zusammen. Auf der Oberfläche verlief ein Netz roter Adern.
„Was ist das?“
Doktor Tornham wartete, bis es wieder mucksmäuschenstill in der Klasse war. Er ließ sich viel Zeit, dann machte er so eine Art Verbeugung vor dem Hologramm und erklärte: „So sieht RUHLs Zentralcomputer aus. Dort werden alle Gedanken gespeichert. Es ist der mächtigste Computer, der jemals erschaffen wurde. Niemand kann die Daten des Zentralcomputers entschlüsseln. Tief unten im Kristallamt steht er sicher geschützt. Die leeren Gedanken der Menschen sind seine Energie. Kein Mensch ist in der Lage, den Zentralcomputer zu verstehen.“
„Aber wer hat ihn dann gebaut?“, rief Mika dazwischen.
Doktor Tornham lächelte nachsichtig. „RUHL, also alle Menschen zusammen, haben den Zentralcomputer erschaffen. Nur gemeinsam war das möglich. Eure Eltern zum Beispiel haben mitgeholfen. Ihr könnt stolz auf sie sein. Ihre Gedanken haben dieses technische Meisterwerk erst möglich gemacht.“
„Kann ich mein Stirnband auch abnehmen? Ich meine, wenn ich einmal einen Gedanken für mich ganz alleine haben will“, fragte Sansibar dazwischen.
„Natürlich, du kannst das Stirnband jederzeit abnehmen. Das ist überhaupt kein Problem. Aber die Farbe deines Kristalls verbessert sich während dieser Zeit nicht. Deshalb trägst du dein Stirnband am besten immer. Wie gesagt, es tut nicht weh.“
Weiter kam Doktor Tornham nicht. Der Schulgong beendete die zweite Stunde.
9 ZU VIEL WASSER
Luan hörte ein Lachen am Ende des Gangs. Er ging darauf zu. Geschirr klapperte. Dort mussten die anderen sein. Luan griff nach seinem ceeBand. Es gab ihm Sicherheit, den glatten gebogenen Bildschirm zu spüren. Hellblaues Licht glimmte für einen Moment zwischen seinen Fingern auf.
Statt einer Tür sah Luan nur sich selbst, wie er näher kam. Ein Vorhang aus verspiegeltem Licht hing vor dem Eingang. Luan wusste, er konnte einfach hindurchgehen. Vorsichtig streckte Luan als Erstes eine Hand hindurch. Sie glitt durch den Spiegel wie durch Luft. Luan tastete mit seiner Fußspitze nach dem Licht und dann machte er einfach einen großen Schritt.
Luan trat in einen Raum, der die Form einer riesigen Kartoffel hatte. Mit sonnengelben Wänden sah er ziemlich gemütlich aus. Um einen runden Tisch saßen fünf Jugendliche. Auf der anderen Seite des Raums schwebten Flauschsofas sanft über dem Boden. Die fünf blickten ihn an und lachten. Nicht, dass sie ihn ausgelacht hätten. Nein, es war ein freundliches Lachen, aber es musste komisch ausgesehen haben, wie Luan so zaghaft durch den Lichtvorhang gestiegen war.
Pablo stand auf. Sofort war Nacho neben ihm und hechelte Luan begeistert an.
„Guten Morgen, du Schlafmütze“, sagte Pablo augenzwinkernd und zeigte auf die anderen. „Willkommen bei den Schattensurfern. Das ist Nele, unsere
beste Programmiererin. Sie weiß auf alles eine Antwort und hat immer eine Meinung, auch wenn man sie gar nicht darum gebeten hat.“
„Idiot!“, zischte das Mädchen mit strohblonder Igelfrisur. Pablo lachte nur. Neles T-Shirt leuchtete in dem gleichen Hellblau wie ihre viereckige Brille.
„Und hier haben wir Emil. Emil hackt sich in jeden Server“, fuhr Pablo fort. Ein kleiner Junge sah von seiner Müslischüssel auf und blickte Luan schüchtern an. „Hallo“, sagte Emil mit piepsiger Stimme. Emil konnte nicht älter als zwölf oder höchstens dreizehn Jahre sein.
„Die Zwillinge heißen Chris und Nick“, sagte Pablo und stellte sich hinter sie. Jeder der Zwillinge war doppelt so breit wie Emil. Auf ihren Tellern türmten sich Omelett-Berge. Die Zwillinge glichen sich beinahe zum Verwechseln, wäre da nicht Chris’ Lockenkopf gewesen. Nicks Haare waren glatt wie Schnittlauch.
„Hallo, ich heiße Luan. Ich freue mich, bei euch zu sein“, sagte
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