Die Schattensurfer (German Edition)
mitbringen. Schaffe es heute wahrscheinlich nicht vor 20 Uhr.“
Doktor Tornham lächelte in die Runde. Er ließ den Schülern noch ein wenig Zeit, ehe er fortfuhr: „Immer mehr Menschen begannen, ihre Ideen und ihre Gedanken der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Das Weltwissen wuchs wie eine Lawine. Probleme, die früher Jahrhunderte ungelöst blieben, benötigen nur noch einen Wimpernschlag. Neue technologische Entwicklungen wurden möglich. Alle halfen mit. Nicht einzelne Forscher erfanden die großen Dinge, sondern Teams von Forschern, ja, die ganze Gesellschaft.
Dieser rasante Fortschritt durfte nicht gebremst werden. Aus diesem Grund wurde vor 30 Jahren RUHL gegründet. RUHL – Rechnerunterstützte humane Leistung. Das war zunächst ein Zusammenschluss aller Computer zu einem gigantischen Wissensnetzwerk. RUHL gehörte nicht einem mächtigen Unternehmen oder der Regierung. Nein, RUHL gehört allen Menschen. Alle Menschen sind RUHL. Kinder notiert bitte: RUHL gehört allen Menschen. Alle Menschen sind RUHL.“
Sansibar notierte die Sätze in ihr TwaddleBand. Das klang toll. Dazu wollte sie auch beitragen. Sie konnte die Zeit bis zu ihrer Kristallfeier nicht mehr erwarten.
Zufrieden ließ Doktor Tornham seinen Blick über die begeisterten Gesichter der Kinder schweifen. Im Wipptakt seiner Füße fuhr er fort: „Um das Wissen weiter zu steigern, wurde am 1.1.2025 beschlossen, alle Gedanken in RUHL zu veröffentlichen. Jeder einzelne Gedanke. Natürlich war dies am Anfang mühsam. Kaum jemand trug wirklich jeden Gedanken ein. Die meisten vergaßen es schlicht, verschoben es zu lange oder hielten manche Gedanken für zu unwichtig, um sie in RUHL zu veröffentlichen.
Es ging ein großer Aufschrei durch Mallinport, als Forscher die Ergebnisse einer Untersuchung bekannt gaben: Tatsächlich wurden nur 0,0001% aller Gedanken veröffentlicht, also nur ein winziger Bruchteil. Die Menschen behielten die meisten ihrer Gedanken für sich. Das war dramatisch.
Einige unkten, dass RUHL scheitern würde. Doch RUHL stand erst am Anfang seines Erfolgs. Zu diesem Zeitpunkt wurde die erste Generation des Protrektors erfunden – natürlich mithilfe von RUHL.
Der Protrektor I war eine Kappe, die es ermöglichte, alle Gedanken automatisch aufzuzeichnen und an RUHL zu übertragen. Und das geschah ohne den geringsten Aufwand. Niemand musste mehr Gedanken umständlich notieren oder aufnehmen oder eintippen. Man konnte nichts mehr vergessen. Alle Gedanken wurden, sobald sie gedacht waren, übertragen. Eine wirklich ausgezeichnete Erfindung. Die Protrektor-I-Kappen gab es in verschiedenen Farben und Formen, sodass jeder etwas nach seinem Geschmack fand. Sogar eine Ausführung als Strohhut war erhältlich. Meine Oma trug so einen.“
Marella und die beiden Jungs, die ebenfalls schon einen Kristall besaßen, klatschten Beifall. „Blöde Streber“, dachte Sansibar, aber natürlich fand sie den Protrektor auch eine geniale Erfindung. Ohne einen Finger krumm zu machen, wurden alle Gedanken an RUHL übertragen. Jeder hatte etwas davon, denn das Wissen der Menschheit wuchs.
Die Gesichter der ganzen Klasse waren rot vor Aufregung. Die Kinder hingen an Doktor Tornhams Lippen. Dieser schien es zu genießen und blieb sekundenlang auf den Zehenspitzen stehen, ehe er weiter wippte und zu erzählen fortfuhr: „Forscher hatten damals gemessen, dass mit dem Protrektor I die Hälfte aller Gedanken an RUHL übertragen wurden. RUHLs gigantische Datenbank des Weltwissens explodierte förmlich. Die Forscher entdeckten allerdings zwei Probleme.
Problem 1: Wenn die Hälfte aller Gedanken an RUHL übertragen wurde, ging die andere Hälfte der Gedanken verloren. Eine riesige Menge an Gedanken verschwand einfach so, nützte der Gesellschaft kein bisschen. Was für eine Verschwendung! Was meint ihr, woran könnte das gelegen haben?“
Fast alle Kinder der Klasse meldeten sich. Auch Sansibar hob zaghaft ihre Hand. Prompt rief Doktor Tornham sie auf. Unsicher sagte Sansibar: „Vielleicht haben die Menschen ihre Protrektorkappen nicht lange genug getragen und haben sie in der Nacht beim Schlafen abgesetzt oder wenn sie Sport machten oder sie haben die Kappe einfach vergessen.“
Doktor Tornham nickte. „Sehr gut, sehr gut. Und was konnte man dagegen tun?“, fragte er weiter.
„Kappe festschrauben!“ rief jemand in den Raum.
„Leute ohne Kappe einsperren“, brüllte ein Junge von hinten.
Sanft schüttelte Doktor Tornham den Kopf: „
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