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Die Schattensurfer (German Edition)

Die Schattensurfer (German Edition)

Titel: Die Schattensurfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Wiest
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verriegelte sie.
    „Es ist so weit. Du darfst dein Stirnband aufsetzen. Wir müssen es nur noch anpassen.“
    Mika zog das Stirnband über den Kopf. Er war so aufgeregt, dass er das Stirnband über beide Ohren zog. Wie ein militärischer Ohrenwärmer, dachte Sansibar.
    Herr Kollgan rückte das Stirnband zurecht. Vorn schob er es ein wenig hoch, dann befreite er Mikas Ohren. Schließlich zog er den Verschluss ein kleines bisschen enger. „Wie fühlt sich das an“, fragte er.
    Mika zuckte mit den Schultern. „Na ja, gut.“
    „Bitte schüttel deinen Kopf.“
    Mika warf den Kopf hin und her, dass seine Haare in alle Richtungen flogen.
    Herr Kollgan kontrollierte den Sitz des Stirnbandes. „Passt ordentlich“, murmelte er. „Nicht zu eng?“
    „Nein, ist wirklich bequem.“
    „Dann überprüfen wir jetzt die Gedankenübertragung. Sei ganz locker und denke an irgendetwas, egal woran. Ich muss den Protrektor auf deinen Gedankenfluss einstellen.“
    Herr Kollgan steckte ein schlauchdickes Lichtkabel in den Protrektor. Das andere Ende des Lichtstrahls verschwand in einem Computer. Sansibar hörte das Einrasten des Steckers und im nächsten Moment flackerte ein großer Bildschirm gleich neben Herrn Kollgan auf. Bunte Farbwolken waberten durcheinander. Sansibar erinnerte es an die Bilder in einer Kunstgalerie.
    Herr Kollgan tippte auf seiner Tastatur. Er änderte diese Einstellung, drehte an jenem Regler. Gräben durchfurchten seine Stirn.
    Plötzlich veränderten sich die Farbflecke. Sie zogen sich zusammen und wurden schärfer. Ein Bild entstand, ein gasklares Bild. Der Monitor zeigte eindeutig Mika. Aber Mika sah schon viel älter aus: 25 oder 30 Jahre alt. Auf seinem Stirnband funkelte ein grüner Kristall mit ersten blauen Einsprengseln. Mika trug einen perfekt sitzenden schwarzen Anzug. Er stand vor einer Schulklasse. Lässig wippte er auf den Zehenspitzen.
    „Was ist das für ein Bild?“, wollte Sansibar wissen. „Woher kommt das?“
    Herr Kollgan lächelte. „Das sind Mikas Gedanken. Ich muss den Kristall und, noch viel wichtiger, den Protrektor anpassen. Sie müssen auf seine Gehirnströme eingestellt werden. Dazu brauche ich Mikas Gedanken, klar und unverschlüsselt.“
    Mika lief tomatenrot an. Das Bild wechselte. Auf dem Monitor erschien Mika, so wie er heute aussah. Mika kam nach Hause und zeigte seinen Eltern eine Mathearbeit. Er hatte eine Fünf bekommen. Mutter und Vater schimpften.
    Peinlich berührt drehte Mika seinen Blick zur Seite.
    „Du musst dir nichts dabei denken“, beruhigte ihn Frau Mayhoff. „Den meisten geht es so wie dir. Doktor Tornham ist ein wundervolles Vorbild. Und eine schlechte Arbeit in der Schule hat schon jeder geschrieben.“
    Jetzt zeigte der Bildschirm den ganz kleinen Mika. Seine Schultüte lehnte neben dem Schrank. Mika musst gerade in die erste Klasse gekommen sein. Er kletterte verschlafen aus dem Bett. Seine Mutter deutete ärgerlich auf Mikas nasse Schlafanzughose und schimpfte.
    Sansibar nahm ihren ganzen Mut zusammen und fragte mit zitternder Stimme: „Ich dachte, die Gedanken werden verschlüsselt, niemand kann sie lesen.“
    „Natürlich, da hast du recht“, sagte Herr Kollgan. „Die Gedanken werden alle verschlüsselt übertragen. Der Protrektor sorgt mit ABEX4-Verschlüsselung für höchste Sicherheit. Jeder einzelne Gedanke wird verschlüsselt, und wenn er noch so klein ist, selbst leere Gedanken. Aber um den Protrektor korrekt einzustellen, muss ich seine Gedanken ausnahmsweise entschlüsseln. Nur jetzt, nur für diesen Moment. Ansonsten würde der Protrektor viel zu ungenau arbeiten. Die meisten Gedanken wären unscharf oder gar nicht zu erkennen.“
    Mikas Mutter schimpfte immer noch. Herr Kollgan hatte den Ton abgedreht, aber Mikas Mutter sah ziemlich wütend aus.
    „Muss das sein, Herr Kollgan?“, fragte Frau Mayhoff und legte ihren Arm schützend auf Mikas Schulter.
    „In Ordnung, ich denke das genügt“, sagte Herr Kollgan und knipste den Monitor aus. Er lächelte Mika an. „Das war es schon. Hat doch überhaupt nicht wehgetan. Ist längst nicht so schlimm wie beim Zahnarzt, geht ganz ohne Spritze. Und ab jetzt wird nie wieder jemand deine Gedanken entschlüsseln, denn es ist nach RUHL-Regeln allerstrengstens verboten. Eine hohe Strafe steht darauf. Außerdem verfügt kein Mensch über die Rechenleistung des Zentralcomputers und die ist für Gedankenentschlüsselung nötig. Wir arbeiten mit dem allerhöchsten Sicherheitsstandard: ABEX4.

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