Die Schattensurfer (German Edition)
Den haben Wissenschaftler vom Kristallamt mit RUHLs Hilfe entwickelt. Die Anpassung des Protrektors ist eine der ganz wenigen Ausnahmen für die gesetzlich erlaubte Gedankenentschlüsselung.“
Mika riss das Stirnband herunter und warf es auf den Boden. Er vergrub sein Gesicht in den Händen.
„Mika, du musst auf dein Stirnband aufpassen. Du darfst es nicht werfen“, sagte Frau Mayhoff und bückte sich, um das Stirnband aufzuheben. „Natürlich ist der Protrektor schockgesichert, aber sollte er trotzdem kaputtgehen, musst du ihn selbst bezahlen. Noch ärgerlicher ist es, wenn der Kristall zerspringt. Denn ein neuer Kristall ist immer durchsichtig, auch wenn dein alter schon rot oder violett war.“
„Entschuldigung“, würgte Mika hervor. Er konnte seine Tränen nicht mehr unterdrücken.
Bilder von ihrer Mutter schossen Sansibar durch den Kopf. Und dann wieder von Luan in der Sauerkrautfabrik. Er strahlte sie mit seinen tintenblauen Augen an. Sie hätte die ganze Geschichte den Sipos melden müssen. Wie würde sie es schaffen, nicht daran zu denken. Je weniger sie an Mama und Luan denken wollte, umso deutlicher brannten sich diese Bilder in ihren Kopf. Sie hatte die Kontrolle über ihre Gedanken verloren. Sie kam nicht dagegen an. Sansibar wurde speiübel. Wie gelähmt saß sie auf dem Stuhl. Sie schwitzte und zitterte vor Kälte zugleich.
„Mika, du musst dein Stirnband wieder aufsetzen und darfst es dir auf der roten Liege bequem machen“, hörte Sansibar Herrn Kollgan wie durch Watte sprechen.
Das orangefarbene T-Shirt ihrer Mutter breitete sich in Sansibars Kopf aus. Es war, als könnte sie keine andere Farbe mehr denken. Was auch immer sie sich vorstellte, es war orangefarben. Selbst Blaubeeren oder Rasen. Ihr Gehirn schien nur noch eine Farbe zu kennen.
Mika schaukelte sanft auf der roten Liege. „Ich darf mir wirklich bestellen, was ich möchte?“, fragte er und klickte durch das Menü des Snackautomaten.
Frau Mayhoff sah ihn freundlich an. Sie strich sich über die goldene Borte ihres Kostüms. „Was du willst und so viel du willst.“
„Auch drei Tafeln Schokolade, einen Burger und drei extra große Colas?“
„Natürlich, mein Lieber.“
„Aber nicht, dass dir schlecht wird“, sagte Herr Kollgan. „Die Initialisierung dauert fast drei Stunden.“
Mika lächelte dankbar. Steif wie ein Brett lag er auf dem weichen Schaum. Nach der ersten Tafel Schokolade entspannte er sich. Ein extra großes Cola kippte er in einem einzigen Zug hinunter. Er rülpste. Extra laut.
Frau Mayhoff strich ihm über den Kopf. „Das macht doch nichts, mein Schatz.“
Mikas Gedanken rauschten durch das Lichtkabel. Verschlüsselt. Herr Kollgan machte ein zufriedenes Gesicht und seine Furchen auf der Stirn entspannten sich zu sanften Wellen. Über den großen Bildschirm rasten scheinbar sinnlose Zahlen und Buchstaben. Kein Mensch konnte auch nur das Geringste erkennen. „ABEX4“, murmelte Herr Kollgan. Ein paar Minuten folgte er versonnen Mikas unlesbarem Gedankenstrom. Schließlich sagte er: „Nun können wir mit dem Mädchen beginnen.“
Sansibar sagte gar nichts. Sie starrte auf den leeren Stuhl, dort, wo vorhin Mika gesessen hatte.
„Sansibar, was ist mit dir los?“, fragte Frau Mayhoff.
Sansibar wollte etwas sagen, aber sie konnte nicht.
„Kind, du bist ja ganz grün im Gesicht. Ist dir übel?“
Sansibar wollte sagen, dass ihr schrecklich übel war, aber sie konnte nicht. Sie fühlte sich hundeelend. Sie schaffte es nur, ein Nicken anzudeuten.
„Sansibar, ich bringe dich zur Toilette“, meinte Frau Mayhoff. Ihre Stimme klang besorgt.
„Aber beeilt euch“, brummte Herr Kollgan, „sonst gerät mein ganzer Terminplan durcheinander. Wenn sich ein Termin verzögert, gibt es ein heilloses Durcheinander. Das hatte ich erst letzte Woche.“
Frau Mayhoff nahm Sansibar vorsichtig am Arm und half ihr aufzustehen. Sansibar ließ es geschehen. Sie verstand nicht, was passierte. Sie ging einfach mit. In ihrem Kopf glühte alles orange. Sie sah ihre Mutter orange, wie von Flammen gepackt. Und dann Luan, ganz nah, ganz scharf. Seine schwarzen Haare loderten in grellem Orange. Sansibars Gedanken spielten verrückt, rebellierten. Sie wollte schreien. Willenlos ließ sie sich von Frau Mayhoff führen. Links, rechts, geradeaus.
„Vielleicht musst du dich übergeben. Danach geht es dir bestimmt besser. War dein Frühstück nicht gut? Die Milch vergoren?“, hörte sie Frau Mayhoffs Stimme. Die Stimme
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