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Die Schattensurfer (German Edition)

Die Schattensurfer (German Edition)

Titel: Die Schattensurfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Wiest
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Stirnbändern in allen nur denkbaren Farben und Materialien. Der Kristall und der Protrektor waren natürlich noch nicht eingesetzt. Das ist wie mit einem Brillengestell, hatte Papa erklärt. Du suchst dir das Gestell aus und der Optiker baut die richtigen Gläser ein. Allerdings werden der Kristall und der Protrektor im Kristallamt eingesetzt. Sansibar hatte ein orangefarbenes Wildlederstirnband ausgesucht mit Perlen bestickt. Die Perlen schimmerten lila. Sie musste an Mama denken, an das orangefarbene T-Shirt mit der lila Blume. Papa war wirklich nicht kleinlich gewesen, denn genau dieses Stirnband hatte ein Vermögen gekostet. Die lila Glasperlen sind fast zweihundert Jahre alt, außergewöhnliche Handarbeit, hatte die Verkäuferin gesagt. Sansibar wollte schon weitergehen, dieses Stirnband war einfach zu teuer, aber Papa hatte gesagt: „Wenn es dir wirklich gefällt, mein Schatz, dann kaufen wir es.“
    Heute war ihr großer Tag. Doktor Tornham hatte sie lange genug darauf vorbereitet. Und Sansibar hatte gebüffelt wie noch nie in ihrem Leben zuvor.
    Sansibar durfte die Kristallprüfung ablegen. Wenn sie die bestand, würde sie zur Kristallfeier eingeladen. Dort würde sie ihren Kristall bekommen und den Protrektor. Dann gehörte sie endlich dazu, würde ein Teil der Gesellschaft werden.
    Die Kristallprüfung bestand aus drei Teilen. Als Erstes musste sie den theoretischen Test bestehen. Sansibar fühlte sich sicher, die Fragen rund um RUHL und die Kristalle richtig zu beantworten. Das hatte sie alles gelernt, oft genug zu Hause wiederholt. Ganz bestimmt würde sie es schaffen.
    Als zweites kam die Anpassung des Stirnbands. Der Kristall wurde eingesetzt und der Protrektor angepasst.
    Zuletzt folgte die Initialisierung, wie es hieß: Zum ersten Mal überträgt der Protrektor die Gedanken und zwar alle Gedanken aus dem bisherigen Leben, zumindest alle Gedanken, an die man sich noch erinnern konnte. Das dauerte ziemlich lange, drei oder vier Stunden. Damit es nicht noch länger dauerte, wurde der Protrektor über ein ultraschnelles Lichtkabel direkt mit dem Zentralcomputer verbunden. Nach der Initialisierung musste das Stirnband mit Kristall und Protrektor wieder abgegeben werden. Auf der Kristallfeier würde sie es dann offiziell überreicht bekommen.
    Vor dieser Initialisierung hatte Sansibar ziemlichen Bammel. Sie nahm sich ganz fest vor, nicht an ihre Mutter zu denken. Auf keinen Fall. In den letzten Tagen hatte sie es immer wieder geübt. Sie wollte die Gedanken an ihre Mutter aus der Erinnerung löschen.
    Sansibar holte tief Luft und schlug dann die Wohnungstür hinter sich zu. „Drückt mir die Daumen. Gehe ins Kristallamt, habe heute meine Kristallprüfung“, tippte sie in ihr TwaddleBand.
    „Viel Glück, mein Schatz“, meldete sich Papa, der längst im Büro war.
    „Bin auch auf dem Weg ins Kristallamt“, antwortete Mika aus ihrer Klasse. „Meine Prüfung ist um 10 Uhr.“
    „Treffen uns beim Eingang“, schrieb Sansibar zurück.
    „Alles klar.“
    Marella schickte einen Glückskeks auf Sansibars TwaddleBand. Sansibar tippte darauf. Das Keksbild zerbrach und ein kleines Papierfähnchen rollte sich aus. Darauf stand: Das Geheimnis ist eine der größten geistigen Errungenschaften der Menschheit.
    „Sorry“, meldete sich Marella. „Was ist das für altmodischer Quatsch? Hier kommt ein neues.“
    Ein weiterer Glückskeks blinkte auf Sansibars Kommunikator. Sansibar berührte ihn. Diesmal stand auf dem Papier: Deine Gedanken sind zu kostbar, um sie für dich zu behalten.
    Marella schickte einen hochgereckten Daumen hinterher. Und Sansibar sandte zwei zurück.
    Das Kristallamt lag in der Mitte von Mallinport. Wie ein riesiger Kristall sah es aus, hell und offen. Fäden, gesponnen aus Licht, schienen es zu tragen. Wie lange hatte Sansibar auf diesen Moment gewartet? Wie oft war sie am Kristallamt vorbeigegangen? Immer hatte sie den Tag der Kristallprüfung herbeigesehnt. Und trotzdem wünschte sie, dass die Prüfung endlich vorüber wäre.
    „Vielleicht bekommst du auch einen Scooter zur Kristallfeier?“, schickte Marella auf Sansibars TwaddleBand.
    Sansibar antwortete mit einem Smiley. Natürlich wünschte sie sich einen Scooter. Sie hatte es Papa gegenüber oft genug erwähnt. Er musste es kapiert haben, dass dies ihr einzig wirklicher Wunsch war.
    Eine gemächliche Rolltreppe schaukelte Sansibar zum Eingang des Kristallamtes hinauf. Sie musste keine Angst haben. Ihr Kopf war vollgestopft mit

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