Die Schattensurfer (German Edition)

liebe Sansibar. Ich wollte mit dir sprechen.“
    Sansibars Magen verkrampfte sich zu einem kleinen Lederball. Was wollte er von ihr?
    „Ja?“, fragte sie langgezogen.
    „Ich würde gerne ein Videogespräch mit dir führen. Kannst du bitte deine Kamera einschalten?“
    Auf keinen Fall, schoss es Sansibar durch den Kopf. Sie fischte den mittlerweile geschmacklosen Mango-Kaugummi aus ihrem Mund und klebte ihn direkt auf die Kamera ihres TwaddleBands. Dann schaltete sie die Videoübertragung ein. „Hallo, Herr Doktor Tornham“, sagte sie und bemühte sich locker und cool zu klingen, aber es gelang ihr nicht.
    „Guten Tag Sansibar, ich kann dich leider immer noch nicht sehen“, meldete sich Doktor Tornham.
    „Ist wohl wieder die blöde Kamera, war neulich schon kaputt“, schwindelte Sansibar. „Seit mir das TwaddleBand heruntergefallen ist, funktioniert sie nicht mehr richtig. Aber ich kann Sie sehen.“
    „Das ist gut. Sehr gut ist das, liebe Sansibar“, sagte Doktor Tornham und lächelte, als wären seine Mundwinkel festgetackert. „Es geht nämlich um deine Initialisierung.“ Doktor Tornham machte eine Pause. Er wartete und sagte einfach gar nichts.
    Sansibar hatte das Gefühl antworten zu müssen. Die Stille schien ihr die Worte aus dem Mund zu saugen. „Ach so“, sagte sie. „Sie wissen …“
    Doktor Tornham schwieg.
    „Sie rufen wegen meines Stirnbandes an? Ja, das war wirklich blöd von mir, nicht aufzupassen. Mein Stirnband hat ein kleines Vermögen gekostet. Papa hat es mir trotzdem gekauft. Mir war furchtbar übel. Ich habe einfach nicht aufgepasst. Aber Frau Mayhoff meinte, der Hausdienst würde es finden. Der Hausdienst findet alles. Im Kristallamt gibt es keine Geheimnisse.“
    „Und jetzt geht es dir wieder besser?“, fragte Doktor Tornham. Seine Stimme klang lauernd. Sansibar fühlte sich wie eine Maus vor der Schlange.
    „Es geht so. Eigentlich noch nicht besonders gut“, stammelte Sansibar, was diesmal sogar der Wahrheit entsprach.
    „Mir würde es auch schlecht gehen, wenn ich versucht hätte, RUHL zu täuschen“, sagte Doktor Tornham mild.
    Sansibars Gedanken spielten verrückt. Was hatte Doktor Tornham da gesagt? Was wusste er?
    Stille füllte das TwaddleBand wie eine Packung Watte.
    „Das Stirnband ist mir herausgerutscht. Ich kann nichts dafür“, stammelte Sansibar. Am liebsten hätte sie ihr TwaddleBand vom Arm gerissen und in die nächste Mülltonne gestopft.
    „Sansibar, du betrügst schon wieder.“ Seine blauen Augen und der Kristall starrten Sansibar an. „Im Kristallamt können wir uns keine Geheimnisse leisten. Die Gesellschaft hat ein Recht darauf, alles zu erfahren. Die Toilette wurde von einer Videokugel überwacht. Sie hat deinen Betrug aufgezeichnet.“
    Sansibars Blut pochte in den Ohren. Sie kniff in ihr Ohrläppchen. Warum hatte sie daran nicht gedacht? Damit hätte sie rechnen müssen. Natürlich durfte es im Kristallamt keine Geheimnisse geben.
    „Ich wollte doch nur …“, jammerte Sansibar. Aber eigentlich wusste sie nicht, was sie sagen wollte. Ganz bestimmt konnte sie Doktor Tornham nicht die Wahrheit erzählen. Sansibar stolperte ein paar Schritte rückwärts. Ihr Herz raste. Sie kam Doktor Tornham nicht aus.
    „Liebe Sansibar, mach dir keine Sorgen, wir können dir helfen“, sagte Doktor Tornham sanft. Jetzt strahlten seine Augen freundlich und es sah fast aus, als würde ihr der blaue Kristall zuzwinkern.
    Doktor Tornham hatte ihren Betrug entdeckt und wollte ihr helfen? Wie sollte das denn gehen? Egal. Eine eispanzerdicke Last schien von ihr abzuplatzen.
    Sansibar nickte stumm. Obwohl Doktor Tornham sie nicht sehen konnte, fuhr er fort: „Schön, dass du meine Hilfe annehmen willst, Sansibar. Du bist kein schlechter Mensch. Es ist eine Krankheit. Du kannst nichts dafür. Dein Problem lässt sich heilen. In ein paar Wochen bist du wieder gesund.“
    Sansibar schniefte. Sie wollte nicht, dass Doktor Tornham sie weinen hörte. Sie fischte ein Taschentuch aus ihrer Hose und drückte es ins Gesicht.
    „Aber wir müssen schnell handeln, sonst machst du alles nur noch schlimmer“, sagte Doktor Tornham. „Ich gebe dir jetzt eine Adresse. Wir treffen uns dort, gleich. Du fährst direkt dorthin. Deinen Vater informiere ich. Er kennt sich damit aus.“
    „In Ordnung“, schniefte Sansibar erleichtert, auch wenn sie nicht verstand, worin sich ihr Vater auskannte. Irgendeine Verwaltungsanweisung?
    Über Doktor Tornham erschien ein Fähnchen mit