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Die Schattensurfer (German Edition)

Die Schattensurfer (German Edition)

Titel: Die Schattensurfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Wiest
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ganze Zeit links aus dem Fenster! Sieh dich nicht um! Das ist der einzige Platz, der nicht von den Überwachungssensoren erfasst wird, seit die neuen, großen Feuerlöscher installiert wurden …“
    Und so ging es weiter. Anweisung um Anweisung. Sansibar raste durch den Text. Wie sollte sie sich das alles merken. Sie hatte nur 3 Minuten Zeit. Wieder und wieder leierte sie den Text herunter. In der Schule hatte sie es immer gehasst, Gedichte auswendig zu lernen. Aber das war etwas anderes. Dieser Text war ihre Fahrkarte in die Freiheit. Und wieder begann sie von vorne: U45, Station 37, Richtung Glenkowitsch, letzter Wagen, Platz 83 …
    Plopp, verschwand der Text und hinterließ nur eine Staubwolke.
    „Kannst du mir die Beschreibung noch einmal ab dieser komischen Sackgasse zukommen lassen? Du weißt schon, das Gebäude, das wie ein fauler Zahn aussieht.“
    „Nein, mach den Kommunikator aus. Sie werden dich sonst tracken.“
    „Was?“
    „Verfolgen. Sie suchen dich. Sie arbeiten mit allen Mitteln. Mach aus! Jetzt!“
    Das Bild von Luans goldenem Drachen stob vom Bildschirm. Sansibar wollte die Pixel festhalten, sie wieder zum goldenen Drachen zusammenfügen. Doch sie griff ins Leere. Luan hatte sich schon ausgeloggt.
    Sansibar seufzte, als sie nach dem winzigen, in einer Vertiefung versenkten Knopf tastete. Er war schwer zu erreichen, kaum zu drücken. Sansibar konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie ihren Kommunikator das letzte Mal deaktiviert hatte.
    Noch ehe sie den harten Kunsstoffknopf drücken konnte, flimmerte das Videobild ihres Vaters über den Bildschirm. „Hallo, mein Schätzchen“, grüßte er so fröhlich, als würde er Sansibar zu einem gemeinsamen Ausflug in den Lunapark einladen. „Wo bist du gerade? Dein Geotracker scheint kaputt zu sein. Ich hole dich ab. Bleib, wo du bist, mein Schatz!“
    „NEIN, Papa.“
    „Aber du hast es deiner Mutter versprochen. Erinnerst du dich?“
    Sansibar sah das Bild ihrer Mutter wieder vor sich. Mama hatte ihr den Zeigefinger auf den Mund gelegt und geflüstert: „Du musst mir versprechen, dass du niemandem davon erzählst. Wirklich niemandem. Keinem Menschen.“
    „Mama, wohin gehst du?“
    Mama schüttelte ihren Kopf. „Es ist besser, du weißt es nicht. Ihr kommt in ein paar Tagen nach. Aber erzähle niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen.“
    Sansibar wollte protestieren, aber Mama hatte ihr sanft über den Mund gestrichen. „Später, mein Schatz. Später haben wir genug Zeit, dann erzähle ich dir alles. Und dass du Papa gehorchst und ein bisschen auf ihn aufpasst.“
    Die Worte ballerten wie Flipperkugeln durch Sansibars Kopf, prallten immer wieder ab, rasten von einer Gehirnhälfte in die andere, trommelten im Stakkato, schrillten so laut, dass es weh tat, bis sie schließlich in einem schwarzen Loch in ihrem Innersten verschwanden.
    „Sansibar, bitte warte. Ich flehe dich an. Das ist unsere einzige Chance“, sagte Papa und wischte mit dem Handrücken über seine Augen.
    Sansibar spürte den Plastikknopf unter ihrem Zeigefinger. Sie drückte. So fest, dass der Knopf einen Abdruck in ihre Fingerkuppe stanzte. Blutleer weiß sah die Stelle aus, fühlte sich jetzt taub an. Der Bildschirm, der sich um ihr Handgelenk schmiegte, blitzte ein letztes Mal auf, dann versank ihr bunt blinkendes TwaddleBand in stumpfem Grau, wie tot. Sie hatte die Nabelschnur zu all ihren Freunden zerschnitten. Sie fühlte sich plötzlich allein auf der Welt. Ganz allein.
    „Entschuldigung, Papa“, murmelte Sansibar. Aber das konnte Herr Arbani nicht mehr hören.

21 OHNE TON
    Seit dem Zwischenfall mit Kalawesi führte sich Nele auf wie eine Sklaventreiberin. Sie ließ keinen Zweifel daran, wessen Idee die Wandernden Wände waren. Alle hatten den ganzen Tag geschuftet, da befahl Nele noch eine weitere Schicht nach dem Abendessen. Sie machte sich furchtbar wichtig. Luan musste an Sansibar denken. Hoffentlich wäre sie bald hier.
    Luans Augen brannten. Sie waren ganz rot und fühlten sich rechteckig an. Obwohl es ihm sonst nichts ausmachte, tagelang vor Bildschirmen und Hologrammen zu verbringen. Heute war es einfach zu viel.
    Endlich, es war schon Viertel nach neun, da verkündete Nele: „Für heute machen wir Schluss. Ihr macht einen Fehler nach dem anderen. Luan, du programmierst schlampig. Wenn wir dein Programm nicht korrigieren, würden sich die Wände um die Besucher wickeln und sie zerquetschen. Hier, sieh dir diese Funktion an.“
    „Quatsch“, sagte Luan.

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