Die Schattenwelt
durchqueren willst, solltest du es so schnell wie möglich tun, bevor es zu spät ist.« Sie warf einen besorgten Blick auf den Nachthimmel. »Wir wollen nicht, dass heute Nacht jemand nach dir sucht.«
Während sie das Haus verließen, kritzelte Miss Elwood Carnegies Adresse auf ein Stück Papier und reichte es Jonathan. Anschließend nahm sie einen kleinen Gegenstand aus ihrer Handtasche und drehte ihn einige Sekunden in ihrer Hand.
»Es könnte sein, dass du das gebrauchen kannst«, sagte sie schließlich. »Carnegie ist ein guter Freund von Alain, aber er kann manchmal … schwierig sein. Solltest du irgendwelche Probleme mit ihm haben, dann zeig ihm dies hier. Das sollte die Dinge vereinfachen.«
Er betrachtete den Gegenstand auf ihrer Handfläche genauer. Es war ein kleiner, unförmiger Metallklumpen.
»Was ist das?«
»Das war eine Kugel.«
Jonathan betrachtete Miss Elwood argwöhnisch.
»Wenn ich also Probleme mit dem Kerl haben sollte, dann zeige ich ihm eine gebrauchte Kugel?«
»Ja, das ist richtig.«
»Sollte ich nicht stattdessen eine neue Kugel nehmen? Und eine Pistole?«
Miss Elwood breitete die Arme aus und drückte ihn fest an sich.
Gedankenverloren fuhren sie schweigend durch London. Die Radionachrichten berichteten über das Verschwinden von Ricky Thomas. Die Polizei hatte immer noch keine Spur. Nun, da Jonathan Zeit hatte, nachzudenken, wurde ihm so einiges klar. Nach all dem, was er gelesen und gehört hatte, schien ihm Darkside nicht gerade der sicherste Platz auf Erden zu sein. Jetzt musste er allein dorthin reisen, während ein paar Entführer ihn verfolgten. Er hoffte, dass Carnegie wirklich ein guter Freund war, denn er brauchte einen jetzt mehr den je.
Als sie die Upper-Thames-Street westwärts fuhren, gab es einen Stau. Weiter vorne musste sich ein Unfall ereignet haben, denn die Straße war in beiden Richtungen mit Autos verstopft. Jonathan wollte Miss Elwood gerade fragen, ob es nicht besser wäre, zur Polizei zu gehen, anstatt die Reise fortzusetzen, als er im Rückspiegel eine große, vertraute Gestalt erblickte. Die trug einen schwarzen Anzug und ging den Gehweg entlang langsam auf sie zu.
»Oh, mein Gott«, flüsterte er.
Miss Elwood drehte sich um.
»Was ist los?«
»Er ist es. Humble! Einer von den Typen aus der Bibliothek, von denen ich erzählt habe. Er kommt auf uns zu. Da!«
Er war ungefähr acht Autolängen entfernt und bewegte sich so feierlich, als würde er einen Sarg tragen. Er ging zwar nicht schnell, kam aber beständig näher.
»Woher weiß er, dass ich hier bin? Können wir hier nicht irgendwie weg?«, fragte Jonathan. Sein Magen krampfte sich in Panik zusammen.
Miss Elwood schlug verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammen.
»Die Straße ist komplett blockiert. Wir können nirgendwohin. Außerdem würde er es nicht wagen, etwas in der Öffentlichkeit zu unternehmen. Wir sind umgeben von Leuten, Jonathan.«
Die große Gestalt füllte inzwischen den gesamten Rückspiegel aus. Er musste weit über zwei Meter groß sein.
»Ich war in der britischen Nationalbibliothek auch von vielen Leuten umgeben und trotzdem haben sie mich erwischt! Wir sind in Gefahr, glaub mir!«
Der Riese war inzwischen so nah, dass man das Grinsen in seinem Gesicht erkennen konnte. Er sah aus, als würde er einen alten Freund willkommen heißen. Miss Elwood wirkte nun etwas unsicher.
»Sind die Türen verriegelt?«
»Ja, aber …«
Es war zu spät: Er stand neben dem Auto. Eine Sekunde lang dachte Jonathan, er würde einfach weiterlaufen, aber im letzten Moment blieb er stehen. Er beugte sich steif zu Jonathans Fenster herunter und winkte ihm grinsend zu.
»Schau ihn nicht an!« Miss Elwood hupte verzweifelt. »Warum kommen wir nicht voran?«
Jonathan konnte seinen Blick nicht abwenden. Er war wie hypnotisiert. Der Riese klopfte überraschend sanft gegen das Fenster. Jonathan war lediglich in der Lage, den Kopf zu schütteln. Der Riese zuckte mit den Schultern und legte seine mächtigen Finger um den Türgriff.
»Was macht er?«, keuchte Miss Elwood.
Humble holte tief Luft und zog an der Autotür. Unglaublicherweise schien sie nachzugeben und sich mit einem Knarren zu biegen.
»Oh mein Gott!«, schrie Miss Elwood. »Er reißt die Tür raus!«
Es schien unmöglich, aber genau das tat er. Licht fiel durch einen schmalen Spalt, der sich zwischen der Tür und dem Rahmen bildete und sich rasch erweiterte. Um sie herum unterhielten sich die anderen Autofahrer weiterhin
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