Die Schattenwelt
Ricky höchst erstaunt, dass er all dies so ruhig hinnahm.Vielleicht befand er sich in einem Schockzustand.
Entweder war es tiefe Nacht oder die Halle hatte keine Fenster, denn es war so dunkel, dass er kaum etwas sehen konnte. Das gelegentliche unheilvolle Knarren von Metall vermittelte ihm den Eindruck, dass neben ihm noch mehr Käfige im Lufthauch hin und her schwangen. Wie viele es waren und wie weit sich die Halle erstreckte, konnte er allerdings nicht ausmachen. Vom Boden her drang gedämpftes Rascheln und Gemurmel zu ihm hoch, was ihn vermuten ließ, dass sich unter ihm noch mehr Menschen befanden. Obwohl es drückend heiß war, lag eine schmutzige Decke auf dem Boden des Käfigs. Ricky öffnete seine Jacke und benutzte sie als behelfsmäßiges Kopfkissen. Er war zwar gerade erst aufgewacht, aber am liebsten hätte er gleich weitergeschlafen, denn sein Kopf schmerzte und seine Situation erschien ihm ausweglos.
Aber das war ihm nicht vergönnt. In diesem Moment fiel ein Lichtschein durch eine Tür weit unter ihm und ermöglichte ihm einen kurzen Blick auf eine Ansammlung von großen Käfigen, die am Boden aufgereiht waren. In den Käfigen wichen Tiere vor dem Licht zurück. Zwei Gestalten betraten die Halle. Eine von ihnen war ein schlanker Mann, der eine brennende Fackel wie einen Regenschirm über seinen Kopf hielt. Das Haar der anderen Gestalt schimmerte im Schein der Fackel. Es war seine Entführerin. Instinktiv wich Ricky zurück, um sich vor ihr zu verbergen.Dies wäre nicht nötig gewesen, denn die beiden waren so sehr miteinander beschäftigt, dass sie ihn ohnehin nicht bemerkt hätten. Obwohl sie flüsterten, verriet ihr Tonfall eindeutig, dass sie sich stritten.
»Ich brauche keine Kopfgeldjägerin, die mir erklärt, wie man zählt, Marianne. Ich wollte zwei Halbblüter haben und du hast mir nur einen gebracht.«
Die Stimme des Mannes klang so rau wie ein Reibeisen. Jede Silbe kratzte wie Sandpapier in seinem Hals. Marianne bohrte ihm drohend den Finger in die Brust.
»Und ich brauche keinen Zoohändler, der mir erklären will, wie man Menschen jagt, Grimshaw. Ich habe dir alles besorgt, was zu kriegen war.«
»Zoohändler?« Er erhob vor Empörung die Stimme. »Ich bin ein Sammler, ein Wissenschaftler, ein Entertainer! Ich hole die exotischsten Kreaturen aus Lightside und stelle sie hier aus. Sie kämpfen, sie töten und sie sterben. Die Leute kommen von nah und fern. Das ›Kabinett der exotischen Bestien‹ ist ein Juwel in der Krone von Darkside!«
Grimshaw schwenkte die Fackel theatralisch durch den Raum. Noch mehr Käfige wurden im Schein des Lichtes sichtbar. Eine räudige Wildkatze schreckte hoch und stieß mit ihrer Pranke drohend zwischen den Gitterstäben hindurch. Als Ricky sich umsah, entdeckte er auf der anderen Seite der Halle noch weitere Augenpaare, die in der Finsternis funkelten, und ihm wurde klar, dass das ganze Gewölbe voller Tierkäfige war.
Er erschauerte und griff nach seiner Decke.
»Nun gut, wie dem auch sei. Tatsache ist, dass du jetzt einen Halb-Darksider mehr hast als vorher.«
»Marianne, ich mache seit Monaten Werbung für diese Show. Es soll das größte Spektakel werden, das im ›Kabinett der exotischen Bestien‹ je veranstaltet wurde. Der Höhepunkt der Show sind zwei Halbblüter-Jungen, die gegen einen Haufen ausgehungerter Schakale kämpfen. Zwei Jungen. So steht es auf den Plakaten. Nicht einer, sondern zwei.«
»Dann hast du eben einen weniger. Wen interessiert das schon?«
»Das ist alles ganz genau geplant. Die Schakale würden einen Jungen in weniger als einer Minute erledigen und das Publikum wäre unzufrieden.« Grimshaw plusterte sich auf. »Ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren.«
»Nun, es ist ja noch nicht alles verloren. Wir glauben, dass der zweite Junge den Übergang nach Darkside durchquert hat.«
»Das sollte dir die Sache doch leichter machen! Nicht einmal du kannst ihn jetzt noch entwischen lassen.«
»Wenn er nicht schon bereits tot ist, wird Skeet ihn finden«, erwiderte sie mit eisiger Stimme. »Während wir uns hier unterhalten, folgt er bereits seiner Fährte.«
»Ich verstehe nicht, wie du dieser eigenartigen kleinen Kreatur vertrauen kannst.«
»Dieser ›eigenartigen kleinen Kreatur‹ verdanken wir es, dass ich die Kleinen überhaupt holen kann.Skeet kann die Fährte der Lightsider besser wittern als jeder andere. Deshalb hast du mich angeheuert, schon vergessen?«
»Und der stumme Riese?«
Marianne zuckte mit
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