Die Schattenwelt
den Schultern. »Seine Größe ist oftmals von Vorteil. Außerdem fühle ich mich dafür verantwortlich, dass Humble so ist, wie er ist. Es scheint nur gerecht, dass ich mich um ihn kümmere.«
Grimshaw lachte heiser.
»Und du nennst mich Zoohändler.«
»Es reicht, Grimshaw. Ich habe einige anstrengende Tage hinter mir und ich bin müde. Dieser Auftrag hat nicht gerade Spaß gemacht und ich will mein Geld.«
»Tun dir die Kinder leid? Vielleicht bist du doch zu gutherzig für eine Kopfgeldjägerin.«
Marianne seufzte träge.
»Weißt du, das haben mir schon mehrere Leute gesagt. Manche von ihnen haben sogar noch lange genug gelebt, um es zu bedauern. Also, gibst du mir jetzt das Geld, das du mir schuldest, oder soll ich Warren bitten, den Käfig wieder runterzulassen?«
Ricky schrie ängstlich auf, als die beiden zu ihm hochblickten. Panisch riss er sich von den Gitterstäben los und verkroch sich unter der Decke.
»Entweder hast du Ratten in deiner Sammlung oder der Kleine ist aufgewacht.«
»Die letzte Sumatra-Riesenratte hab ich schon vor Jahren verkauft.«
Ricky konnte durch die Spalten der Bodenbretter erkennen, dass Grimshaw ihn beobachtete.
Das Licht der Fackel fiel auf sein Gesicht und gab den Blick frei auf die dünne, pergamentartige Haut, die seinen Schädel umspannte. Seine Augen waren verschiedenfarbig, das eine grün, das andere blau. Nie zuvor hatte der Anblick eines Menschen Ricky derart verängstigt.
»Halt still da oben!«, krächzte er. »Du bist eine wertvolle Neuerwerbung, und ich möchte nicht, dass du dich verletzt.«
Zu seiner eigenen Überraschung fand Ricky den Mut zu antworten.
»W-wo bin ich hier? Was wollen Sie von mir?«
»Reg dich nicht auf, mein Kleiner«, rief ihm Marianne zu. »Bald hast du es überstanden.«
Ricky überkam eine Welle aus Angst und Wut. »Was habe ich bald überstanden? Was mache ich hier?«
Grimshaw grinste hämisch. »Du befindest dich auf der Hinterbühne des ›Kabinetts der exotischen Bestien‹. Zusammen mit all den anderen Tieren. Genieß diese großartige Kulisse – lange wirst du dich nicht mehr daran erfreuen können.«
»Aber ich bin kein Tier! Ich will hier weg – sie dürfen mich hier nicht gefangen halten! Lassen sie mich raus!«, schrie Ricky.
Sein Gesicht färbte sich rot vor Wut über die Ungerechtigkeit. Er rüttelte mit aller Kraft an den Gitterstäben, worauf der Käfig wild durch die Luft zu schwingen begann.
» LASSEN SIE MICH RAUS !«
Unter ihm ertönte zustimmendes Bellen, Jaulen und Heulen, das zu einem Chor anschwoll und die Halle unter dem Protest der Tiere erzittern ließ. Marianne trat vor Unbehagen von einem Fuß auf den anderen und wandte ihren Blick ab.
»Komm schon, Grimshaw«, drängte sie. »Lass uns gehen.«
Die Kopfgeldjägerin drehte sich auf dem Absatz um und verließ die Halle. Grimshaw warf Ricky einen letzten drohenden Blick zu. Dann tauchte er die Fackel abrupt in einen Eimer mit Wasser und der Raum versank wieder in der Dunkelheit.
13
Die Kutsche glitt sanft dahin. Sie verließ die Hauptstraße und die Pferde trabten nach Norden. Jonathans Verstand arbeitete fieberhaft, und er sehnte sich danach, mehr über seine Mutter zu erfahren. Zweimal versuchte er eine Frage zu stellen, doch beide Male brachte ihn Carnegie knurrend zum Schweigen. Es schien, als müsse er mit seinen Fragen warten. Stattdessen starrte er aus dem Fenster und betrachtete die Umgebung. Um sie herum wirkten die Straßen zunehmend verlassener, die Armut und der Verfall blieben jedoch allgegenwärtig. Am Straßenrand rotteten sich einige Kinder in zerlumpter Kleidung zusammen. Sie liefen neben der Kutsche her, streckten ihre Hände aus und bettelten um Geld. Gelegentlich erhaschte Jonathan einen Blick auf ein brennendes Haus oder einen regungslosen Körper, der in einer der Gassen auf der Erde lag. Die Kutsche fuhr unbeirrt weiter.
Schließlich wurden die Straßen breiter und große Bäume säumten ihren Rand. Es waren die ersten Bäume, die Jonathan in Darkside sah. Der Wind hatte aufgefrischt und welke braune Blätter raschelten unruhig in der Brise. Die dichten Reihen der Häuserlichteten sich, und hinter hohen Hecken und Zäunen tauchten luxuriöse Herrenhäuser auf. Die Bewohner dieser Gegend schienen sehr wohlhabend zu sein.
Carnegie bemerkte Jonathans neugierigen Gesichtsausdruck.
»Wir sind in Savage Row. Hier leben die reichsten Leute von Darkside. Und natürlich auch Luther.«
Carnegie klopfte dem Fahrer auf den
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