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Die Schattenwelt

Titel: Die Schattenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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Luft.«
    »Was ist da drin?«
    »Destilliertes menschliches Blut und Franzbranntwein«, entgegnete Col. Als er Jonathans entsetztes Gesicht sah, lachte er und verließ den Raum.
    Carnegie stupste Jonathan.
    »Das ist Metzgerhumor, Junge. Hör nicht auf ihn.«
    Jonathan lächelte höflich.
    »Wie dem auch sei … du bist gekommen, um mich um Hilfe zu bitten. Aus Lightside. Du musst ziemlich ernste Schwierigkeiten haben.«
    »Was ist Lightside?«
    Carnegie blickte ihn verwundert an.
    »Wie hast du mich gefunden? Wie konntest du lebend den Übergang durchqueren, wenn du offensichtlich von nichts eine Ahnung hast? Pass auf. Dieser Teil der Stadt ist Darkside. Er reicht von Ödmoor im Norden bis Teufelshafen im Süden. Macht nicht besonders viel her, aber es ist meine Heimat. Lightside ist … alles andere. Die andere Seite der Münze. Dort, wo wir nie hingehen.«
    »Ich habe nie etwas davon gehört.«
    »Warum überrascht mich das nicht? Wie dem auch sei, so nennen es wir Darksider. Du wohnst in Lightside. Also, um meine Frage zu wiederholen, was willst du hier?«
    Jonathans Hände wurden langsam blau vor Kälte. Wenn er sie anhauchte, schmerzten sie. Seine Zähne klapperten, als er sprach.
    »K-k-könnten wir u-u-uns irgendwo unterhalten, wo es wärmer ist?«
    Carnegie schenkte ihm einen mitfühlenden Blick.
    »Natürlich, Junge. Wo bleiben meine Manieren?«
    Er warf den abgenagten Lammknochen in die Ecke und schob seinen Begleiter in Richtung Ausgang. Sie schritten durch den warmen Ladenbereich der Metzgerei, da fasste Jonathan sich ein Herz und flüsterte ihm ins Ohr.
    »Ähm, Mister Carnegie?«
    »Nur Carnegie reicht. Und sag du zu mir.«
    »Du hast da noch Blut am Kinn.«
    »Ach ja?«, antwortete Carnegie und trat hinaus in das Getümmel der belebten Straße.

11
    Die Hauptstraße war genauso überfüllt, schmutzig und lärmerfüllt wie am Abend zuvor. Pferdefuhrwerke rumpelten an den Bürgersteigen vorbei, die mit Darksidern überfüllt waren. Sie drückten und schoben sich aneinander vorbei, zankten sich lautstark und gestikulierten wild. Die Straßenlaternen waren erloschen und das Tageslicht tauchte die Szenerie in ein schmutziges Gelb. Die elektrisch aufgeladene Luft kündigte das Herannahen eines Gewitters an. Jonathan spürte, dass sich die Härchen auf seinen Armen sträubten. Die Anspannung übertrug sich auf die Bewohner, und wo er auch hinblickte, sah er eine stärker werdende Gewaltbereitschaft.
    Carnegie schritt unberührt voran, seinen Blick stur geradeaus gerichtet. Er bewegte sich gegen den Strom der Menschenmassen, der sich vor ihm zu teilen schien. Jonathan hingegen wurde gestoßen und geschubst, als stünde er in einem Orkan. Er musste sich sehr anstrengen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Obwohl alle Carnegie den Weg frei machten, schienen sie nicht gerade erfreut, ihn zu sehen. Jonathan fiel auf, dass die Leute ihren Blick von ihmabwandten oder plötzlich auf ihre Füße starrten, als hätten sie etwas Interessantes auf dem Boden entdeckt. Manchen gelang es nicht, ihren Argwohn und ihren Hass zu verbergen.
    Ein torkelnder Betrunkener rempelte ihn im Vorbeigehen an. Carnegie verzog keine Miene – aber seine große Hand schnellte hervor und packte den Mann am Hals. Er stemmte den Betrunkenen in die Höhe und drückte ihn gegen eine Mauer. Die Füße des Mannes baumelten hilflos in der Luft und suchten verzweifelt festen Boden.
    »Du hast mich gestoßen«, knurrte Carnegie.
    Der Betrunkene entschuldigte sich stotternd. Carnegie musterte ihn von oben bis unten, bevor er nachgab und ihn zu Boden fallen ließ. Dann ging er weiter, als sei nichts geschehen. Jonathan trottete hinter ihm her.
    »Wie du siehst, Junge, gibt es ein paar faule Äpfel in Darkside …«
    »Hab’s bemerkt.«
    »Aber es ist nicht so schlecht hier. Du musst ihnen nur Grenzen setzen. Lass dich von niemandem herumschubsen. Damit verschaffst du dir nach einer Weile Respekt. So was spricht sich herum.«
    Eine sehr dicke Frau tauchte vor Jonathan auf. Fettringe waberten um ihren Körper wie Hula-Hoop-Reifen. Sie grinste ihn bedrohlich an, streckte ihre fleischigen Arme aus und versuchte, ihn an sich zu drücken, doch Jonathan sprang zur Seite und entkam ihr knapp.
    »Warum sind hier alle so bösartig?«, keuchte Jonathan, während er sich umsah, um weiterem Ärger zu entgehen.
    »Böses Blut, Junge. Böses Blut. Du musst wissen, dass unsere Familien einst auch auf deiner Seite von London lebten. Aber vor vielen Jahren, als diese

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