Die Schattenwelt
nicht aufgeben, bevor sie es geschafft hat. Wir müssen auf der Hut sein. Eines nach dem anderen. Zuerst musst du versuchen, dich besser anzupassen. Du fällst auf wie ein bunter Hund. Hier treiben sich nicht sonderlich viele Lightsider rum, und die, die es tun, werden nicht gerade mit offenen Armen aufgenommen. Auch wenn du es nicht glauben wirst, aber du bist hier eine Art Kuriosität.«
»Aber, wenn ich den Übergang durchqueren kann … dann können das doch sicherlich andere auch?«
»Sie können es versuchen. Es ist schwierig.«
»Das kann ich allerdings bestätigen«, entgegnete Jonathan bedeutungsvoll.
»Meist ist es körperlich anstrengend, aber das ist nicht alles. Um nach Darkside zu gelangen, muss man anders denken . Die Luft ist von solcher Bösartigkeit erfüllt, dass man seinen Geist dafür öffnen muss, sonst treibt sie einen in den Wahnsinn. Die meisten Menschen können damit nicht umgehen. Sie brechen zusammen, drehen durch … unschöne Angelegenheit.«
Jonathans Gedanken schweiften ab, er dachte an Alains Krankenstation und die verstörten Patienten, die dort durch die Korridore und Hallen schlichen.
»Mein Vater wird immer wieder krank.«
Carnegie verzog das Gesicht.
»Das überrascht mich nicht. Alain hat viel Zeit hier verbracht.«
»Moment mal. Wenn seine Aufenthalte hier der Grund für seinen Zustand sind, warum hat er mich dann hergeschickt?«
Angst überkam ihn.
»Will er, dass ich auch so ende wie er?«
»Nun, das wird wohl kaum ein Problem für dich sein, oder? Wenn man ein Halbblut ist, macht einem das Durchqueren des Übergangs nichts aus.«
Jonathan blieb abrupt stehen. Das Schreien und Fluchen auf der Hauptstraße erreichte ihn plötzlich nicht mehr und das Schubsen und Drängeln auf dem Bürgersteig ließ ihn kalt. Er nahm nur noch das heftige Pochen seines Herzens wahr.
»Was hast du gesagt?«
Carnegie wollte schon das eben Gesagte wiederholen, doch als er den Gesichtsausdruck des Jungen sah, verstummte er.
»Willst du damit sagen, dass ich ein Halbblut bin?«, fragte Jonathan leise.
»Ähm ja … aber, deine Mutter … weißt du … Hat Alain dir nichts von all dem erzählt?«
»Du kanntest meine Mutter?«
Der Wermensch nickte traurig.
»Erzähl mir alles, was du von ihr weißt!«, bedrängte Jonathan ihn. »Du musst mir alles erzählen!«
Carnegie schüttelte den Kopf und öffnete den Mund, um zu antworten, als eine offene Kutsche neben ihnen anhielt. Ein kleiner Mann, dessen Gesicht dem einer Ratte ähnelte, sprang vom Kutschbock herab und grinste Carnegie breit an. Der Detektiv seufzte und wandte sich an Jonathan.
»Schlechte Nachrichten, fürchte ich«, murmelte er.
Der Mann schniefte und wischte sich mit dem Ärmel über die Nase.
»Vendetta wünscht, dich zu sehen«, verkündete er.
Carnegie zuckte mit den Schultern.
»Sag ihm, ich bin beschäftigt, Luther.«
Der Mann öffnete hinter sich die Wagentür und wies mit einer einladenden Geste in das Innere der Kutsche.
»Er erwartete dich oben auf Vendetta Heights.«
»Schon gut. Aber ich muss den Jungen mitnehmen«, erwiderte Carnegie.
Diesmal zuckte Luther mit den Schultern. Jonathan packte den Wermenschen am Arm und flüsterte in sein Ohr.
»Wer ist Vendetta?«
»Das willst du nicht wissen.«
»Was hast du vorhin noch mal gesagt? Man soll sich nicht herumschubsen lassen?«
»Bei Vendetta sollte man besser eine Ausnahme machen. Und jetzt sei still und steig ein.«
12
Kaum hatte Ricky seine Augen geöffnet, wünschte er, er hätte es nicht getan. Er hatte einen fürchterlich bitteren Geschmack im Mund, und sein Kopf fühlte sich an, als würde ihn jemand mit einem Hammer bearbeiten. Behutsam tastete er nach der Beule auf seiner Stirn. Schon die sanfte Berührung seiner Fingerspitzen ließ ihn vor Schmerz zusammenzucken. Alles in allem befand er sich in einem erbärmlichen Zustand.
Er saß auf dem Boden eines Metallkäfigs, der an einer Kette von der Decke eines Gewölbes hing. Es war stockfinster, doch er konnte die imposanten Mauern erahnen, die ihn wie eine düstere Kathedrale umgaben. Sein Käfig knarrte bei jedem Lufthauch. Ricky wimmerte leise vor sich hin. Wo um Himmels willen war er? Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, war, dass er am Trafalgar Square verfolgt worden war, dass er sich in dieser Kirche versteckt und diese Frau getroffen hatte … Es schien ihm alles so unwirklich, wie ein böser Traum. Nun aber saß er in einem Käfig und das war nur zu real. Unterbewusst war
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