Die Schatzhöhle
Schiffes wurde von der Strömung erfaßt, die das Wendemanöver beschleunigte. Wohl war man fast so weit, daß man ans Auslaufen hätte denken können; aber jetzt wurde die Situation am gefährlichsten. Der Segelwald des Schiffes bildete nun nämlich eine weithin sichtbare Silhouette, die sich gegen den dunklen Nachthimmel abhob und so ein ausgezeichnetes Ziel für Hassans Kanoniere bildete. Ojo stand wie ein Baum auf den Planken. Seine Fäuste waren verkrampft. Tränen der Wut and des Schmerzes liefen dem Riesen in den verfilzten Bart. Fassungslos starrte er mit brennenden Augen auf den bewußtlosen Pfeifer, der vor dem Steuerhaus lag. Für Ojo war eine Welt zusammengebrochen. Eine fürchterliche Detonation riß ihn aus seiner Starrheit.
Mit schreckgeweiteten Augen sah er, wie auf der »Dimanche« eine riesige Stichflamme empor stieg. Das durchdie feindlichen Kanonenkugeln verursachte Feuer mußte die Pulverkammer erreicht haben. Das Schiff war rettungslos verloren. Wenn sich wenigstens die Kameraden noch retten konnten!
Ojo sah das Verderben auch für die »Trueno« nahen. Immer wieder rissen die Geschosse riesige Fetzen aus den Segeln des alten, guten Schiffes.
In diesem Augenblick machte Ojo instinktiv einen Satz zur Seite. Die große Rahe stürzte mit furchtbarem Kradi auf die gleiche Stelle des Decks, an der der große Spanier eben noch gestanden hatte.
»Santa Maria, Madre de Dios«, murmelte er und bekreuzigte sich. »Das war hart am Tode vorbei.«
Er überlegte, daß es sinnlos wäre, hier herumzustehen und auf ein Wunder zu hoffen. Die »Trueno« lag jetzt mit dem Bug in Fahrtrichtung. Die Beschädigungen auf dem Schiff waren immerhin noch nicht so groß, daß man alle Hoffnung aufgeben mußte.
Ojo nahm sich zusammen. Er wußte, daß nur er jetzt noch die verfahrene Situation retten konnte. Trichterförmig legte er die Hände um den Mund und schrie über den hellen Lärm hinweg : »Kanoniere! An die Backbordgeschütze!« Er wartete dann eine Weile um zu sehen, ob man seine Befehle noch ausführte. Freudig stellte er fest, daß ein paar seiner besten Leute
gewohnheitsgemäß reagierten. Sie waren so eingedrillt worden, daß sie dem Befehl und der mächtigen Stimme wie unter einem Zwang gehorchten. Als Ojo laut rufend befahl, daß man alle Pulverfässer, Kugeln und Lunten auf die Backbordseite schaffen sollte, hub trotz der dauernden Einschläge ein emsiges Treiben an. Dann kam der letzte Befehl: »Backbordgeschütze klar!«
Ein Kanonier nach dem anderen hob die Hand zum Zeichen, daß das Geschütz bereit war.
Noch einmal visierte Ojo die Lage der Mündungsfeuer zwischen den Hügeln. Präzise gab er
seine Richtanweisungen. Und dann:
»Backbordgeschütze — Salve — Feuer!«
Fieberhaft luden die Kanoniere. In zwanzig Sekunden waren die Kanonen fertig.
Ojo ließ jetzt Reihenfeuer geben. Das heißt, daß immer ein Geschütz nach dem anderen schoß, so daß das erste wieder geladen hatte, wenn der letzte Schuß verstummte.
Die Nacht war gelb von Pulverdampf. Den Männern lief der Schweiß von der Stirn. Und bald zeigte sich der Erfolg.
Nur vereinzelt bekamen die heimtückischen Gegner noch einen Schuß aus den Rohren. Aber diese Kugeln schwirrten über das Schiff hinweg oder schlugen klatschend ins Wasser. Auf der »Trueno« hatte sich alles wieder eingespielt. Auch diejenigen, die nicht Kanoniere waren, gehorchten Ojo aufs Wort. Im schwersten Feuer hatten sie die Segel gegeit und das Schiff back gebraßt.
Marina stand mit hängenden Schultern auf der Kommandobrücke und hatte den gesenkten Degen noch immer in der Hand. In dem Augenblick, als es um Leben oder Tod ging, als es darauf ankam, Geistesgegenwart zu behalten, hatte sie versagt. Die Kunst eines Krieges war nicht der Angriff, sondern die gut funktionierende Verteidigung. Hier erst zeigte sich der wahre Meister. Und hier hatte Marina bewiesen, daß sie keiner war. —
Zuerst fuhr sich Michel mit beiden Händen nach demHinterkopf. Er schmerzte furchtbar. Schwerfällig richtete er sich auf. Jetzt erst vernahm er den Donner der Geschütze wieder. Als er hochtaumelte und sich an einem Maststumpf festhielt, sah er, daß die Schlacht noch in vollem Gange war. Vernehmlich drangen Ojos Befehle in sein Bewußtsein und brachten ein Lächeln auf seine Lippen. Er sah, daß alles gut stand, soweit man in dieser Situation das Wort gut überhaupt gebrauchen durfte.
Nötig war er im Augenblick hier nicht. So schleppte er sich die Treppe hinunter und
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