Die Schatzhöhle
glaubhaft zu machen, daß es sich bei dem Inhalt der Säcke wirklich um wissenschaftliche Gesteinsproben handle. Imi Bej dachte angestrengt nach.
Er hätte den Matrosen jetzt verprügeln lassen können. Er hätte befehlen können, ihm die Bastonnade zu geben. Aber was wäre das Ergebnis solcher Behandlung gewesen?
Imi Bej war ein Teufel, ein Satan, der von den meisten, die ihn kannten, gefürchtet wurde. Er war grausam und besaß eine Erfindungsgabe im Ausdenken von Strafen, die ihresgleichen suchen konnte. Er gehörte zu jener Sorte von Menschen oder besser Bestien, in denen das Stöhnen und die Schreie geschundener Kreaturen einen Rausch verursachen, wie ihn andere verspüren, wenn sie einen Liter Schnaps getrunken haben.
Jetzt klatschte Imi Bej zweimal in die Hände. Ein Diener erschien und brachte ihm ein Kissen. Er ließ es dem Gefangenen gegenüber in eine Ecke setzen und nahm darauf Platz. Stumm saß er dort und hatte die Augen geschlossen, während die beiden Posten in der Tür mit drohender Gebärde noch immer die Gewehrläufe auf Paulus Krämer gerichtet hielten.
Aber auch im Lauf der nächsten Minuten schien Imi Bej keine Lösung seines Problems zu finden. Abermals klatschte er in die Hände.
»Schicke mir Selim, den Hekim«, befahl er dem eintretenden Diener. Der Hekim kam.
»Du bist ein großer Seelenarzt, Selim«, sprach ihn Imi Bej an. »Du hast mir einmal gesagt, daß
du aus dem Gesicht eines Menschen erkennen könntest, wie sein Geist beschaffen ist.«
Der Hekim nickte.
»So ist es, Imi Bej«, antwortete er würdevoll.
»So betrachte diesen Weißen sehr genau, und sage mir, was du von ihm hältst.«
Selim, der Arzt hatte seine Diagnose bald fertig.»Das ist nicht schwer, Imi Bej, siehe die abstehenden Ohren und den tiefen Haaransatz des Mannes. Beachte die Stellung der Augen und betrachte die Rundung des Kinns. Auch wenn man seine zurückfliehende Stirn ansieht, weiß man, daß man einen großen Einfaltspinsel vor sich hat.«
»Meinst du, daß man ihm eine faustdicke Lüge aufbinden und ihn durch Drohung gefügig
machen könnte?«
»Wenn man es geschickt anfängt, so ist es nicht schwer.«
»Es ist gut. Ich danke dir.«
Der Hekim entfernte sich.
Abermals klatschte Imi Bej in die Hände. Er trug dem Diener auf, ein zweites Kissen herbeizuschaffen, Wasserpfeifen und Mokka.
Als das Gewünschte da war, forderte er Paulus Krämer auf, sich zu bedienen, was dieser sich nicht zweimal sagen ließ. Er rauchte und trank und verlangte dann etwas zu essen. Auch dieser Wunsch wurde ihm gewährt. Nach geraumer Zeit begann Imi Bej : »Ihr seid ein ehrlicher Mensch, nicht wahr?«
»Das will ich meinen«, antwortete Paulus Krämer im Brustton der Überzeugung. Der Bej nickte.
»Um so unverständlicher ist es mir, daß Ihr zu einem Handlanger von ganz üblen Verbrechern
werden konntet.«
Paulus bekam große Augen.
»Ich, der Handlanger eines Verbrechers? Ihr treibt üble Scherze!«
»Keineswegs. Die Männer, die sich Euch gegenüber als Gelehrte ausgaben, und die Steine in den Säcken als Gesteinsproben bezeichnen, sind Räuber.« »Räuber?!« Krämer schaute jetzt wirklich einfältig drein.
»Ja, Räuber«, wiederholte der Bej. »Sie haben die heiligen Steine aus dem Tempel von Maskat gestohlen. Das ist ein todeswürdiges Verbrechen. Nichts auf der Welt kann sie vor Allahs und vor unserer Strafe retten. Und jeder, der ihnen behilflich ist, die Steine beiseite zu schaffen, kann sich von vornherein als zum Tode verurteilt betrachten.« Jetzt bekam es Paulus mit der Angst zu tun.
»Aber warum haben sie die Steine überhaupt genommen?« fragte er.
»Was weiß ich? Der Teufel muß ihnen diesen Wahnsinn ins Ohr geflüstert haben, zumal sie damit gar nichts anfangen können; denn sie sind für einen Ungläubigen völlig wertlos.« »Na sowas — na sowas«, wunderte sich Paulus.
»Wollt Ihr auch zu denen gehören, die die Rache Allahs ereilt?« fragte der Bej.
»Ich — ich — wie konnte ich — oh, wie konnte ich wissen, daß es sich bei den Steinen um ein Heiligtum der Mohammedaner handelt! Niemand weiß das. Auch nicht Kapitän Weber. Aber wenn Ihr mich freilaßt, werde ich sofort mit ihm sprechen.« Die Augen Imi Bejs funkelten satanisch.
»Ihr glaubt doch nicht im Ernst, daß der Kapitän nicht eingeweiht ist?«
In Krämers Kopf wirbelten die Gedanken wild durcheinander. Sein Kapitän — ein Schurke? Unmöglich! Wahrscheinlich war er genauso das Opfer dieses angeblichen deutschen Doktors
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